Daſo auch die Ratsstube zu Meersburg bunte Fenster hatte, ist nicht verwunderlich, War aber bislang nicht bekannt, weil zwei Scheiben des 16. Jahrhunderts, die den Rest der alten Verglasung der Ratsstube darstel- len, im Rathaus zu Meersburg ein verbor- genes Dasein führten. Als beide Scheiben kürzlich durch Unachtsamkeit sehr schwer beschädigt worden waren, wurde Restau- rator Viktor Mezger, Uberlingen, mit der Wiederherstellung beauftragt. Nachdem diese nun in sehr erfreulicher Weise gelungen ist, sollen die beiden Scheiben hier erstmalig veröffentlicht werden.
1. Die àltere Scheibe: Waßpßpen Meersburg ca. 1530.(Abb. 1)
Es handelt sich um eine Wappenscheibe aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts, der besten Zeit der alemannischen Kleinglas- malerei. Leider ist die Scheibe— von den beseitigten Schäden abgesehen— nur unvoll- ständig erhalten und bei einer früheren Restaurierung verändert worden. Sie War ursprünglich erheblich größer. Der blaue Damastvorhang, vor dem das Wappen und die goldfarbenen Wappenhalter stehen, ver- schloſ) eine Ehrenpforte. Diese bestand aus Astbögen, die in der Mitte oben zu einer Spitze herabgezogen waren. Das dort ein- gefügte, nicht zugehörige rote Gewandstück läßt es erkennen. Die Ehrenpforte wurde offenbar entfernt, um die Scheibe mit der jüngeren Scheibe auf gleiches Maßꝰ zu brin- gen. Beide sollten eben als Gegenstücke Wie- der verwendet werden. Das muße, wie ge⸗ Wisse Eigentümlichkeiten der Verbleiung und Ausbesserung zeigen, im 19. Jahrhundert ge- schehen sein. Schon damals war die Scheibe schadhaft und ergänzungsbedürftig. Leider ist der damalige Restaurator mit der Heral- dik nicht zurechtgekommen. So kommt es, daſo u. a. der Turm des Schildbildes über den Schildrand hinausragt und, daß die Wildfrau ihre Arme nicht auf den Schildrand auflegt. Diese Mängel mußzten bei der jetzigen Wie-
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derherstellung beibehalten werden, denn ihre Beseitigung würde zu allzugroßen Ein- griffen in den Glasbestand der Scheibe ge- führt haben. Trotz ihrer Mängel wohnt der Scheibe noch immer sehr viel inne von ihrer alten Großartigkeit und Wucht.
Wildleute oder Wildleutepaare, Urein- Wohner, die gewissermaſßßen für das ehrwür⸗ dige Alter des Stadtwappens zeugen sollen, sind aus der oberrheinischen Heraldik satt- sam bekannt. Ich verweise 2. B. auf die Wap- pen der Stadt Pfullendorf(kürzlich wieder- hergestellt am Obertor), der Grafschaft Kyburg und der Stadt Frauenfeld. In der Basler Fastnacht treten uns die Wildleute alljährlich auch noch leibhaftig entgegen.
Der Erhaltungszustand erschwert es sehr, den Urheber der Scheibe oder ihres Risses zu ermitteln. Ihre Khnlichkeit mit der Wild- männerscheibe des Kunstgewerbemuseums Berlin läßt an Felix Lindtmayer d. Alteren aus Schaffhausen denken, der als Glasmaler und Zeichner zu den bedeutendsten Früh- renaissance-Meistern der Schweiz gehört. Ubrigens sind die rund 450 Glasgemälde des Kunstgewerbemuseums in Berlin sämtlich im Kriege zerstört worden, was einen überaus schwWeren und unersetzlichen Verlust bedeutet.
2. Die jungere Scheibe: Wappen Meersburg 1582.(Abb. 2)
Diese Scheibe ist vollständig erhalten. Unglücklicherweise ist aber die Schrift- kartusche, eine wichtige Urkunde für den Rathausbau, völlig zerbrochen. Es gelang indessen, ihre vielen Splitter und Splitterchen zwischen zwei Glasplatten so zusammen- zufügen, daſ die vielen Sprünge kaum noch sichtbar sind und einen wohlmeinenden Be- trachter nicht mehr stören. Im Lichtbilde sind sie unsichtbar. Die Inschrift lautet:
Anno 1551 Wward fürwahr.
Diß Ratthaus gebaut:
In dem]har.
Anno 1582 Jst dieser Sahl verwendt. Inn ain Stuben und wol volendt: