Richard Strauss Von Professor Dr. Oscar Bie Kichard Strauss wird zu seinem sechzigsten Geburtstage erfahren, dass er ein Künstler der Welt ist. Bei solchen Gelegenheiten sammelt sich der Dank einer Gemeinde, die sonst verstreut bleibt. Von Bach bis Wagner war die deutsche Musik in einer Weltgeltung, die nicht einmal von Italien aus end- gültig unterbrochen wurde. Erst nach Wagner trat die Verlegenheit hervor. Was kam nun? Italien schlug mit der Veristischen Oper eine starke Bresche. Die Schule von Debussy gab der französischen Musik eine unleugbare geistige Vorherrschaft. Mit Richard Strauss ist endlich wieder deutsche Musik von allgemeinem Ruhm in die Länder gezogen. Er steht in einer guten Mitte 2wischen südlicher Leidenschaft und wWestlfcher Intelligenz. Der Weg seiner Werke geht durchaus ins Bildhafte, Wirksame, Erregende, aber das Niveau Seiner Tätigkeit hält sich auf der Höhe der Kultur und Bildung unserer Epoche. Der deutsche Musiker hat immer Substanz genug, um sich nicht im Spirituellen zu verlieren. Er freut sich der Musik als Handwerk, er leugnet nicht zünftige Grundlagen. Aber Standpunkt allein wäre nichts, wenn nicht die Persönlich- keit Kraft und Ueberzeugung ausströmte. Der Komplex der Straussischen Tongebilde ist so scharf umrissen durch eine präzise Kontur, auf die er den Strom der Töne treibt, durch eine feste, rhythmische Handschrift, in der er den Puls der Zeit mitfühlt, durch eine Klangsicherheit, in der er den blossen Im- Pressionismus zu einem technisch fundierten Geset2 erhöht, dass seine Kompo- sitionen den eignen Stil bis zur letzten Grenze führen, bis zu jener Grenze, die keiner heute erreicht, auf welchem Gebiete und in welcher Art es auch seéi. Diese Energie des gestaltenden Willens, auf der Basis einer äusserst durch- Searbeiteten Technik, hat dem Genie von Strauss seinen Triumph gebracht. Auf beiden Hemisphären geniesst er heute sein glückliches Schicksal. Die Welt hat sich daran gewöhnt, Jubiläumsgeburtstage zu feiern, weil sie die Ge- danken auf einen Schöpfer so konzentrieren, dass das Detail im grossen Ein- Arucle sich absorbiert, ebenso wie jede Kritik in den allgemeinen Dank eingeht. Es ist das schöne Zeichen unserer Sehnsucht nach einem Heros und Propheten. Richard Strauss, der Musikdramatiker Von Carl Stang Als Richard Wagner mit demParsifal sein ungeheures Lebenswerk ab⸗ Zeschlossen hatte, da schien es vielen, als ob in der Musik ein Höhepunkt er- reicht sei, über den hinaus eine weitere Entwicklung nicht mehr möglich wäre. Das galt insbesondere für die musikdramatische Form, unter deren Gesichts- Winkel die gewaltige Bedeutung Wagners vor allem zu werten ist, wenngleich sein Einfluss sich auch auf alle andern musikalischen Gebiete erstreckt hat. Ein ähnlicher Einschnitt war zuvor schon einmal gegeben, als man mit BeethovensNeunter einen Endpunkt und höchstmöglichen Ausdruck im Symphonischen Schaffen bezeichnete. Auch hier hatte man eine weitere Aus- deutung nicht für möglich gehalten. Und in beiden Fällen hat es geraume Zeit gedauert, bis die Erkenntnis zu einer andern Auffassung sich durchzusetzen Vvermochte. Die Symphonie Beethovens wurde erweitert und fortgeführt be⸗ Sonders durch die sinfonischen Gebilde Berlioz' und Liszts und fand dann, gleich wie das Wagnersche Musikdrama eine unerhörte Steigerung durch die Schöpfungen Richard Straussens, der in seiner Gesamterscheinung: nicht nur als der grösste Tondichter der Gegenwart anzusprechen jst, dem darüber hinaus schon heute da wir uns anschicken seinen 60. Geburtstag festlich zu be- gehen eine Bedeutung zukommt, die ihn in die unmittelbare Nähe der Zrössten Komponisten aller Zeiten rückt. 3