Die Wissenschaft zeigte sich ernstlich bemüht, ihren Teil dazu beizutragen, daß Unfälle vermieden werden und daß auch schon in der Industrie bei der Autokonstruktion in enger Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Ärzten alles getan wird, um den Verkehrsunfall und die Möglichkeiten der Ver­letzungen zu verringern.

Die Arbeitsmedizin

Die Einwohner einer aufstrebenden Industriestadt wie Karls­ruhe werden mit Genugtuung vernehmen, daß auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin die Deutsche Therapiewoche in Karlsruhe bahnbrechend war insofern, als immer wieder arbeitsmedi­zinische Themen im Rahmen der Therapiewoche auf dem Programm standen und daß nicht zuletzt auch dadurch für die Arbeitsmedizin mehr und mehr Interesse geweckt wurde und damit dieser wichtige Bereich der Medizin allmählich auf den ihm gebührenden Platz kam. Die Arbeitsmediziner sind sehr bestrebt, das grausame Schicksal der Einzelmenschen, die an ihrem Arbeitsplatz von Krankheit und Siechtum betroffen wer­den, zu lindern und zu vermeiden. Es wird in Zusammenarbeit mit Technikern und Ingenieuren nach Auswegen gesucht, um die Gefahren am Arbeitsplatz herabzumindern und auszu­schließen.

Die Pocken

Ein Problem, das die Menschen heute besonders bewegt, sind die Pockeneinbrüche in unsere Welt. Man glaubte sich schon seit Jahren frei von dieser Gefahr und hatte es nicht für mög­lich gehalten, daß einmal wieder die Pocken in unsere Welt in Mitteleuropa einbrechen könnten. Die Entdeckung der Pocken­schutzimpfung war ein Markstein in der Abwehr dieser Krank­heit. Durch sie konnte die Pockengefahr aus Deutschland und Europa verbannt werden. In den letzten Jahren sind vereinzelt Pockeneinbrüche entstanden, wodurch mit Recht große Be­unruhigung hervorgerufen wurde. Die Ursachen dafür sind mannigfaltig. Vor allem ist es die Tatsache, daß heute mehr denn je deutsche Menschen nach Ubersee gehen und dort mit der einheimischen Bevölkerung in enge Berührung kommen. Man könnte einwenden, daß auch in früheren Jahren Kaufleute in alle Welt hinauszogen und daß trotzdem die Pocken kaum nach Europa eingeschleppt worden sind. Die Situation ist heute jedoch wesentlich anders geworden. Die Kaufleute hatten nicht die Berührung mit den niederen Bevölkerungsschichten der orientalischen und überseeischen Länder, wie dies heute der Fall ist bei Ingenieuren und Technikern, die im Rahmen der Wirtschaftshilfe den unterentwickelten Ländern helfen beim Aufbau von Industrieanlagen und die einheimischen Arbeiter anlernen. Damit kommen sie mit Bevölkerungsschichten in Kontakt, bei denen die hygienischen Verhältnisse noch recht schlecht sind und bei denen deswegen immer wieder die Pocken auftreten. Hinzu kommen noch die Flugverbindungen, die eine nur nach Stunden bemessene Reisezeit ermöglichen. Daß die Pocken trotzdem nicht eine größere Verbreiterung finden, ist der Tatsache zu verdanken, daß der größte Teil der deutschen Bevölkerung regelrecht gegen Pocken geimpft wurde. Es waren aber in den letzten Jahren immer wieder Stimmen laut geworden, die glaubten behaupten zu dürfen, daß die Pockenschutzimpfung nicht notwendig und heute als Eingriff in die persönliche Freiheit des Menschen nicht mehr vertretbar sei. Seit wiederholt Pockeneinbrüche bei uns statt­gefunden haben, hört man kaum mehr etwas davon. Man sollte im Interesse der Allgemeinheit nicht so sehr auf die persön­liche Freiheit und die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen pochen, sondern jeder Einzelne sollte sich auch der Gemein­schaft gegenüber verantwortlich und verpflichtet fühlen.

Die Polio-Schutzimpfung

Auf diesem Gebiet hat die medizinische Wissenschaft in den

letzten Jahren einen wesentlichen Erfolg errungen. Im Pro­gramm der 13. Deutschen Therapiewoche 1961 war ein Tag dem Problem der Impfung gewidmet. Es wurde damals vor allem auch die Polioschluckimpfung diskutiert, die vor Wochen und Monaten durchgeführt wurde. Die Beteiligung war unterschied­lich, nirgendwo leider so, wie man es im Interesse einer erfolgreichen Bekämpfung dieser Krankheit gewünscht hätte.

Das Heilmittel

Auch das Heilmittel spielt im Leben der Menschen eine große Rolle. Es kam das Schlagwort von derTablette in der Hand­tasche" auf. Es wird viel gesprochen von Tablettensucht und von Medikamentenmißbrauch. Dem Vertrauen in das Heilmittel steht das Mißtrauen gegenüber. Offen werden Nebenerschei­nungen von Arzneimitteln diskutiert, wobei die Sachlichkeit zugunsten der publizistischen Wirksamkeit oft sehr verdrängt wird.

Ais in grauer Vorzeit zum erstenmal ein Mensch seinem erkrankten oder verletzten Artgenossen Hilfe zu leisten sich verpflichtet fühlte und diese Verpflichtung der Nächstenliebe ausführte, war die Heilkunst geboren worden. Seit dieser Zeit ist in einer nie abreißenden Kette von Menschen für Menschen in Ausübung einer Pflicht der Nächstenliebe eine Heilkunst entwickelt worden. Sie hatte zunächst nur in der Erfahrung ihre Wurzeln. Später erst wurde durch Einbeziehung zielgerichteter Überlegungen die Heilkunst zur Wissenschaft. Die Wissenschaft von der Heilkunde, von der Heilkunst, wie wir sie heute ken­nen, ist eine aus vielfältigen Wurzeln gespeiste und seit Jahr­tausenden bestehende und aus diesen Wurzeln ständig sich erneuernde Hilfsbereitschaft, ein Bestreben zu helfen und zu heilen.

Wenn in heutiger Zeit viele Tausende bemüht sind, in die Heilkunst neue Mittel und neue Wege einzuführen, um die Therapie von Krankheiten zu ermöglichen und um Krankheiten zu erforschen, die bisher wenig bekannt und wenig durch die Therapie zu beeinflussen waren, so ist dies nur graduell von jener Hilfe und jenem Helfenwollen in grauer Vorzeit verschie­den. Wenn früher die Erfahrung die wesentliche Grundlage der Medizin war, so sind heute die Erfahrung und die wissenschaft­liche Forschung Grundlage und Grundlegung der Heilmethoden. Heute sind durch die modernen Möglichkeiten der Forschung Zusammenhänge von Krankheitsvorgängen bekanntgeworden, wie sie in der Frühzeit der Medizin nicht erahnbar waren. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung zur Wissenschaft geht aber auch die bange Frage gerade des medizinischen Laien, des Menschen also, dem die Heilmethode und die Medikamente zugute kommen sollen, ob auch all diese Dinqe in ihrer Fundierung richtig, durch die praktische Erprobung entsprechend gefestigt sind. Der heutige Mensch bedient sich sehr häufig der verschiedensten Arzneimittel. Zum Teil nur sind sie ihm vom Arzt verordnet, zum Großteil wählt er sie selbst aus in der Uberzeugung, daß sie ihm in seinen Beschwerden Linde­rung bringen. Die Wege, auf denen er sich sein Wissen zur Auswahl von Heilmitteln erwirbt, sind vielfältig, sie sind aber immer wieder doch letztlich ihm von anderen Menschen ver­mittelt worden, sei es durch Presse, Funk und andere moderne Möglichkeiten der Publikation, sei es durch direkte Empfeh­lung von Mensch zu Mensch.

Die Bemühungen der Deutschen Therapiewoche gelten dem großen Gebiet der Therapie, der Heilkunde und der Heilkunst also. Aus der Entwicklung dieser Veranstaltung und ihrer wach­senden Bedeutung erhält das Bestreben der Ärzte und der Wissenschaft, alles zu tun, um optimale therapeutische Mög­lichkeiten zu erarbeiten und die Nebenerscheinungen der Heil­methoden auf ein Minimum zu verringern, sichtbaren Ausdruck.

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