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Karlsruher Beobachters

Nr. 88. Donnerstag den 22. Juli L8L7.

Der Verstand des Zufalls.

Sir Edmund Jackson, ein reicher egoistischer Engländer, galt m seinem Vaterlande eben darum sür einen Sonderling, weil er keiner war, und halte England schon seit Jahren verlassen, weil er, als parteiloser Vaterlandsfreund, in einem Lande, wo alles Partei ist, mit Jedermann mißvergnügt und zerfallen war.

Er lebte, ohne Beschäftigung, auf dem Continente, und Me bald in dieses, bald in jenes Land. Zn den Jahren 1830 und 1831 interessirte er sich lebhaft für Polens Schicksale, und in dem danächst folgenden Jahre stand sein Enthusiasmus eben »och in vollster Blüthe, als er in einer größern Statt Nord- deutschlands eine schöne junge Polin kennen lernte, die wir Gräfin Caliste ChlapowSka nennen. Die Gräfin hatte sich als siebzehn­jährige Jungfrau an die Spitze einer Schwadron gestellt, die sie auf ihren Gütern beritten gemacht und bewaffnet, und hatte mcht nur in manchem Treffen mit dem Feinde gekämpft, sondern auch bei der Befestigung von Warschau unermüdet mit Schanz, arbeiten verrichtet, ohne daß sie sich dadurch abhallen lassen, mit all der Kunst zu intriguiren, die Len Polinnen zu Gebote steht, m wie nach dem Kriege zum Nachtheile der Feinde thätig I» sein.

Sir Edmund hatte von Calisten in den Zeitungen gelesen Md schon ehe er sie kennen gelernt, ihrer THatkraft seine Be- «underung gezollt. Ihr Umgang fesselte ihn später in der Thal an sie und er erwarb auch ihre Freundschaft in dem Grade, daß, als sie den Ort ihres Zusammenlebens in verschiedenen Wellrich- lungen verließen, er in einen Briefwechsel mit ihr hatte treten dürfen.

Persönliche Bekanntschaft hatte dem Bewunderer der Männ­lichkeit und Vaterlandsliebe der jungen Gräfin danächst Vereh­rung ihrer Schönheit aufgedrungen. Die Lektüre ihrer Briefe lehrte ihn ihr zartes gebildetes Gemüth und Gefühl, ihr tüchti­ges Urtheil, ihren feinen Geschmack lieben.

«Welch einziges Geschöpf!" rief er danach bei sich aus: -Welcher Verein von Tugenden und Vorzügen! Welche An­spruchslosigkeit! Welche Selbstverläugnung, gerade LaS Edelste in üch so wenig zur Schau zu tragen, daß man Wochen, ja Mo­nate täglich mit ihr umgehen kann und es nicht ahndet! Nur das Vaterland gilt ihr Etwas, erfüllt sie ganz; äußer ihm denkt und will sie nichts, und darum läßt sie sich auch nie herab, in d«r Gegenwart der Freunde von Anderem als dem zu sprechen, *aj sie in Briefen ungefährdet nicht berühren darf."

Sir Edmund konnte solcher Liebenswürdigkeit nicht wider- ^ehen. Sein Herz war verloren und er trug es wohl oder übel

Geliebten an, die eS schon besaß, indem er in einem seiner Briefe um ihre Hand bat.

Eine erwartungsvolle Zeit, ehe Caliste rrwiederte. Endlich

traf die lang verzögerte Antwort ein und brachte die Erfüllung dessen, was der Baronet wünschte: das Ja der Gräfin und zu­gleich die Verheißung baldigen Wiedersehens, wenn sie mit ihrer Tante, der Baronin d'Orville aus Preußen, die seit dem Tode ihrer Eltern Mutterstelle an ihr vertrat, auf einer Badereise durch die mitteldeutsche Residenz kommen werde, in der Sir Ed­mund sich zur Zeit aufhielt.

Jackson war so voll von seinem Glücke, daß er es Jemand anvertrauen mußte, und eröffnet« es nach Empfang des Briefes der hochgebildeten Familie des reichsten Bankiers der Stadt, von Birkholz, der, von altem Adel wie er war, bei so günstigen Ver­hältnissen, eines der angesehensten Häuser machte und dessen Frau und Tochter Sir Edmund auch in ihrem häuslichen Kreise Abends bei sich sahen.

Beide iparen über die unerwartete Kunde erstaunt, da sie geglaubt hatten, der Brüte werde seinen eingewurzelten Hage­stolz im Leben nicht los werden, und das Fräulein verhehlte ihr Behagen an dem fast romantischen Verhältniß dieser Liebe nicht. Der geschmeichelte Baronet willigte mit Vergnügen ein, als man eS ihm zur Pflicht machte, ein Mehreres von seiner Braut zu wissen zu thun und zu dem Ende ihre Briefe an ihn vorzulesen.

Man setzte einen der nächstfolgenden Abende zu der Lektüre fest, an dem man hoffen durfte ungestört zu bleiben, und halte Mühe gehabt, ihn aus dem beginnenden Wirrwar der Karnevals­feste herauszufinden, an denen die Familie Birkholz in Len mei­sten Fällen genöthigt war, Theil zu nehmen. Heute erleichterte ein großer Ball in einem Hause, mit dem sie auf einem gespann­ten Fuße lebte, die erwünschte Einsamkeit, und war es dem Be­dienten auf dem Dorsaale eingeschärft worden, daß die Herrschaft für etwanige Besuche nicht zu Hause sei.

Sir Edmund fand sich zu der erwarteten Stunde ein, und man setzte sich, derweil es draußen stürmte und schneite, mit Be­haglichkeit um die Kohlenflamme des Kamins. Der Fremde auf den Divan, die Frau vom Hause in ihren bequemen Sorgen­stuhl. die lebensfrohe Clara auf ein Tabvuret hinter dem dampfen- den Theekeffel, und bald las der Baronet einen Brief vor, bald besprach man bei Thee und Sandwiches das Gehörte.

"Welch liebenswürdiger Charakter," rief Clara einmal um das andere, wenn Sir Edmund nach einem neuen Briefe eine Pause machte. Frau von Birkholz sprach: "Ich bewundere zu- meist, wie die junge Dame das Heroische ihres Wesens mit dem, ich möchte sagen, Heimischen zu vereinbaren im Stande ist. Wer hätte einer Polin so viel Gemüth zugetraut!"

Sir Edmund freute sich der Wirkung seiner geliebten Briefe und entgegnete: »Ich war selbst so überrascht, nach und nach diese Entdeckung zu machen, daß ich es wie ein Wunder oder Märchen des Gemüth» ansah. Ich verblende mich nicht gegen die Schwächen meines Charakters und wußte, bei dieser Ueber- einstimmung auf der Stelle, daß gerade das mir an meiner künf-