Als vor mehr als 125 Jahren die Errichtung der ersten groß- industriellen Unternehmen im Karlsruher Raum weithin Aufmerksamkeit erregt hat, war für die Unternehmerschaft die Frage des günstigsten Standorts schon von großer Bedeutung. Die Voraussetzungen für die Niederlassung bzw. für den Ausbau der Unternehmen mußten damals sicherlich auch gewissenhaft überprüft werden, denn ehedem wie heute war jede wirtschaftliche Betätigung ohne möglichst sichere Aussicht auf Erfolg nicht denkbar.
Mehr als ein Jahrhundert war es allein die Aufgabe der Unternehmer selbst, die nötigen Untersuchungen und Berechnungen anzustellen, ob der in Aussicht genommene Standort für den betreffenden Betrieb der richtige sei, ob sich hier wirklich unter den besten Bedingungen produzieren lasse. Die Kommunalverwaltungen hatten nur sekundär „Hilfestellung" zu geben und die gemeindlichen Dienste schrittweise der sozusagen „von selbst" wachsenden örtlichen Wirtschaftskraft anzupassen. Die Fülle der heute sich aufdrängenden Probleme wie Bereitstellung von erschlossenem, verkehrsgünstig gelegenem Industriegelände, die Mithilfe bei der Schaffung oder Beschaffung von Gewerberaum, bei Wohnungen für die Arbeitskräfte, die Mitwirkung bei der Vielheit der Fragen staatlicher oder gemeindlicher Finanzhilfe, der Beratung in einer stattlichen Zahl von anderen gegebenen oder auftauchenden ideellen oder wirtschaftlichen Problemen waren damals noch unbekannt. Heute kann es nicht mehr sein Bewenden dabei haben, daß die Stadtverwaltung wartet, bis sich Interessenten einstellen oder bis die vorhandenen Betriebe der Stadt den Anstoß zu neuen wirtschaftsfördernden Maßnahmen geben. Die Stadt muß sich heute selbst „attraktiv" machen und zu einem großen Teil auch selbst die Vorbedingungen für ihre weitere wirtschaftliche Expansion schaffen, sie muß durch die gebotenen örtlichen Verhältnisse weithin anreizend werbend wirken, damit die Interessenten gerade diesem Platz den Vorzug geben und sich zur wirtschaftlichen Befruchtung dieser Stadt entschließen. Mit der Anziehungskraft der „natürlichen Gegebenheiten" — so wichtig und erwünscht sie sind — ist es in unserer Zeit nicht mehr getan, wo man allerorts dabei ist, den natürlichen Reizen nachzuhelfen. Der Wettbewerb um potentiellen Zuwachs an Wirtschaftskraft ist im ersten Jahrzehnt nach dem 2. Weltkrieg unter den noch aufnahmefähigen Stadt- und Landkreisen sehr lebhaft geworden. Für die rasch wachsende Bevölkerung waren allenthalben zusätzliche wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten zu schaffen. Die private unternehmerische Initiative konnte hier allein nicht schnell und umfassend genug wirksam werden; die Kommunalverwaltungen mußten großzügig planend durch eigene Entschlüsse den Boden bereiten, auf dem zusätzliche Wirtschaftskraft fruchtbar werden konnte. Für die Karlsruher Stadtverwaltung wurde die Wirtschaftsförderung zu einer besonders dringenden und wesentlichen Aufgabe, kam doch in unsere Stadt zum Wiederaufbau und zur Bewältigung des Vertriebenenstromes noch die Notwendigkeit, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß Karlsruhe nicht mehr länger Verwaltungszentrum des deutschen Oberrheingebietes rechts des Stromes blieb. Vom Erfolg der kommunalen Wirtschaftsförderung wurde nun das Schicksal der Stadt weitgehend abhängig.
Rückblickend läßt sich heute sagen, daß es das Karlsruher Dezernat für Wirtschafts- und Verkehrsförderung nicht bei Routinemaßnahmen beließ.
Man war in Karlsruhe bemüht, mehr zu tun als das „Übliche". Sei es hinsichtlich der Schaffung der allgemeinen Voraussetzungen für die Erweiterung der örtlichen Wirtschaftskapazität, sei es beim Auskundschaften erwünschter Ansiedlungsinteressen- ten oder beim Verhandeln mit ihnen, sei es in Bezug auf den „Service" die laufende Beratung und Förderung neuer oder bereits ansässiger Firmen. Gerade auf die Pflege dieses „Service" legt die Karlsruher Stadtverwaltung besonderen Wert, ihm hat die Stadt wohl zu einem Großteil die Dauerhaftigkeit und Stabilität ihrer in den letzten 10 Jahren erzielten wirtschaftlichen Erfolge zu verdanken. Mit der Vorbereitung
Direktor
BERTHOLD KESSINGER
Neue Erfolge
des
«Karlsruher Rezepts»
einer Ansiedlung, einer Umsiedlung, einer Kapazitätsausweitung durch etwaige Bereitstellung von Gelände oder städtischen Diensten, durch Finanzhilfe usw. betrachtet das Dezernat für Wirtschaftsförderung einen „Fall" nie als abgeschlossen. Man setzt hier seinen Ehrgeiz ein, für keine Bitte, für kein Anliegen, für keinen Wunsch, mit dem sich die Betriebe an die Stadt wenden, „unzuständig" zu sein.
Wenn große Erfolge winken, zögerte — wie sich bei der Gewinnung des Atommeilers, der beiden großen Erdölraffinerien und anderen erstklassigen weltbekannten Firmen immer wieder gezeigt hat — die Stadtverwaltung nicht, schnell und großzügig einen eigenen bedeutenden Einsatz zu leisten. Manche sind vielleicht noch vor einer Reihe von Jahren mit der Befürchtung nach Karlsruhe gekommen, in der „ehemaligen Beamtenstadt" sich nun mit „Knausrigkeit" und Schema „F" herumschlagen zu müssen.
Eine der günstigsten Voraussetzungen, die zu dem immer wieder anerkannten wirtschaftlichen Erfolg und Aufschwung dieser Stadt führten, ist die Tatsache, daß in diesem Bereich praktisch von vorne angefangen und kaum auf einer Tradition aufgebaut werden konnte. Verhältnismäßig wenig Industrie war in diesem an der ehemaligen Reichsgrenze gelegenen Wirtschaftsraum vorhanden. Industrie, Handel und Gewerbe hatten es vorgezogen,sich nach dem weiter östlich gelegenen,sichereren württembergischen Raum zu orientieren und sich dort wirtschaftlich zu betätigen. Die politischen Veränderungen ließ die umsichtige Stadtverwaltung nicht ungenutzt. Vielfach blieb Karlsruhe mit anderen im Wettbewerb liegenden Städten bei der Gewinnung neuer Betriebe Sieger, obwohl die Ansied- lungsbedingungen der Mitbewerber — auf den ersten Blick — sehr oft um ein Vielfaches günstiger waren. In Karlsruhe wurde weder etwas geschenkt, noch wurde versprochen, was nicht gehalten werden konnte.
Das Wirtschaftsförderungsdezernat ist bestrebt, in dieser Beziehung die Erwartungen möglichst weitgehend zu erfüllen. Und oft sind es kleine Hilfen, die dann für den guten Ruf der Stadt bei einem neuen „Wahlkarlsruher" nicht weniger zu Buch schlagen wie manch sachliches Zugeständnis.
Gleichermaßen wurde mit Umsicht und Tatkraft den ansässigen Unternehmen zur Stärkung und Erweiterung Hilfestellung geleistet, soweit sich aus der wirtschaftlichen Entwicklung hierzu eine Notwendigkeit und Berechtigung ergab.
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