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vorerſt dahin, daß du dich nicht verſündigeſt an ganz armen Leuten. Wenn ein Handwerksburſch vom Polizeidiener in's Gefängniß geführt wird wegen Bettel, wenn Einer vom Waldhüter auf geſchrieben wird, weil er im argen Winter ein Paar Bengele Holz im Wald geholt hat; wenn ein Weib für ihren hungerige Kinder Nachts Rüben ge⸗ holt oder Kartoffel ausgegraben hat auf fremdem Acker, weil ſie ſelber keinen hat; wenn ein Ac⸗ ciſor in die Kaſſe greift in größter Familien⸗ noth mit dem Gedanken, ich will es ſpäter wie⸗ der zurückzahlen, er kann aber nicht; wenn eine arme verfuͤhrte Perſon gebärt und das Geborene zu Grund gehen laßt ja da kriegt ſo manche behäbige Perſon Anwandlungen, wie der Phari ſäer vornen im Tempel:Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin, wie die da! Wenn du ſo denkſt, da brauchſt du gar nicht zu danken; denn wenn jene armen Leute, welche von der Noth in ſchiefe Wege gerathen ſind, ihre Sünde recht bereuen: ſo kommen ſie eher in den Himmel, als ſo ein Tugendmuſter, als wie du biſt. Wäreſt du in ſolchem Elend, wie ganz arme Leute, ſo wäreſt du vielleicht noch viel geſchwinder und ärger in die Sünde gekommen. Ohnedieß ſind die Polizeiſünden nicht allemal die ärgſten vor Gott. Es gibt genug Sünden unter allen Sorten von Herrenvolk, welche vor Gott ſchwerer in's Ge⸗ wicht fallen. Dieß erinnert mich an eine Pre⸗ digt, welche ich einmal den Züchtlingen in Lu⸗ zern gehalten. Da habe ich geſagt:Ihr ſeid die größten Sünder nicht; es gibt viel reiche und herrenmäßige Leute, welche noch ſchwerere Verant wortung auf ſich haben. Und dieſe ſind übler daran als ihr; denn ihr müßt Strafe leiden für eure Sünde und kommet dadurch zur Reue und Verſöhnung mit Gott; jene aber führen ein Wohl leben bis an's End, ſterben in ihren Sünden, und kommen ewigkeitslang in's Zuchthaus. Darum muß ja kein Leſer herb und ſcharf urtheilen über den Menſchen, der durch große Armuth zur Sünde ſich verleiten hat laſſen. Unendlich größere Miſſethäter z. B. ſind die, welche im größten Ueberfluß leben und den⸗ noch ganze Länder rauben und das Blut von
hunderttauſend unſchuldigen Menſchen daran ſetzen. Wo iſt ein Raubmörder in der Welt, welcher ſo viel Blutſchuld und ungerechtes
Gut auf dem Gewiſſen hat, als mancher große Herr!
Chriſtlicher Zuſpruch an Arme.
Wenn du keinen Schuh am Fuß haſt und kein ganzes Hemd am Leib, und wenn du nur eine elende Suppe und grünen Salat zu Mittag ge kriegt haſt, oder wenn du an Oſtern kein Geld haſt, um den Hauszins zu bezahlen, wer iſt Schuld daran? Gar Mancher iſt ſelber Schuld daran. Gerade arme Leute gehen oft am leicht fertigſten mit dem Geld um; wenn Einer etwas verdient hat, ſo laßt es ihm keine Ruhe, wie wenn die Groſchen im Sack lauter junge wuſe lige Eidechſen wären. Er lauft eben in's Wirths
haus und trinkt und raucht und macht blauen
Montag oder das Weib kauft Kuchen und Kaffee und Zucker und Schinken und Zehner⸗ wein. Wenn es auch gerade nicht überall ſo
unſinnig zugeht, ſo fehlt es eben doch bei vielen armen Leuten am Sparen, an Ordnung, über haupt an vernünftiger Häuslichkeit. Das müßt ihr Leute ſuchen auszubeſſern.
Dann aber gibt es auch Arme, welche lieber Noth leiden, als ernſtlich Arbeit ſuchen und an greifen. Die kümmerliche elende Nahrung macht Blutarmuth, und von der Blutarmuth kommt Unluſt zum Arbeiten; es iſt oft ſolchen Leuten, wie wenn ſie halber krank wären. Da hilft eben nichts, als ſich Gewalt anthun und den eigenen Leib anſpornen, wie ein müdes Pferd.
Freilich gibt es auch viele ſchwere Armuth, wo der Menſch gar nichts dafür kann. Für ſolche Perſonen habe ich einmal ein beſonderes Blatt drucken laſſen mit dem Titel: Geſpräch mit armen Leuten. Die wenigſten Leſer des Kalenders werden es geſehen haben, und doch wäre es geſund, nicht nur um Arme zu tröſten, ſondern auch damit Leute, welche Geld haben, ſich nicht etwas darauf einbilden, ſondern ſich eher noch ſchämen und unruhig werden, daß ſie ſo viel Geld haben.
1. Heute, da ich dieſes ſchreibe, iſt Charfreitag Jeder wahre Chriſt betrachtet an dieſem Tag ſei⸗ nen Heiland, wie er am Kreuz hängt. Manchmal ſchon hat ein Armer zu mir geſagt: Kein Menſch auf der Welt iſt ſo nothdürftig, als ich. Und ich ſage: Sieh deinen Erlöſer am Kreuz an, ob er nicht unendlich nothdürftiger geweſen iſt. Er hat (am hellen Tag vor allem Volk) nicht einmal den elendeſten Fetzen gehabt, um ſeine Blöße zu decken; er hat in dem grimmigen Durſt, welchen Jeder