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DONNERSTAG 5. JANUAR 1950
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Mit Geduld unseren Weg gehen
Dr. Adenauer umreißt die Hauptaufgaben der Bundesregierung in diesem Jahr
Am 2. Januar 1950 starb im Alter von 63 Jahren der große Schauspieler EmilJannings (Ausführlicher Bericht im heutigen Feuilleton.)
Willkommener Gast
BUCKEN. Ein französischer Geistlicher hat im Landkreis Buchen jetzt die Bauern aufgesucht, bei denen er während des Krieges als Kriegsgefangener arbeitete. Er bezeichnete das bei den deutschen Familien begangene Weihnachtsfest als das schönste, was er in Deutschland erlebt habe. Die ehemaligen französischen Gefangenen und Zivilarbeiter hätten, so meinte der Geistliche, meist eine gute Meinung von Deutschland .
Zwangsarbeiter
GÖTTINGEN . Etwa 30% aller deutschen Kriegsgefangenen, die gegenwärtig noch im Gebiet von Baku leben, wurden nach Mitteilung von Heimkehrern zu 5 bis 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Sie seien fast ausschließlich ehemalige Angehörige der Polizei, des Sicherheitsdienstes, der Division „Großdeutschiand“ und der SS-Division „Wiking“.
Die Heimkehrer waren am Montagabend ln einem Transport von mehr als tausend ehemaligen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion im Lager Friedland in ihre Heimatorte entlassen worden. Sie waren hauptsächlich bei Baku am Bau eines Staudammes eingesetzt, der 1953 als größter Staudamm der Welt fertig gestellt werden soll. Sie erklärten übereinstimmend, daß der endgültige Entlassungstermin für die letzten Kriegsgefangenen nach Mitteilung sowjetischer Stellen von Ende März auf den Spätsommer verschoben worden sei.
BONN . (W.-Eigenbericht.) Bundeskanzler Dr. Adenauer hat am Mittwoch vor der Bundespressekonferenz einen Ueberblidc über die Hauptaufgaben der Bundesregierung im neuen Jahr gegeben. Einleitend betonte er, daß er die Lage keinesfalls als rosig ansehe. „Wir werden sehr geduldig den Weg gehen müssen, der uns zuteil geworden ist.“ Je tiefer man in die Probleme hineinsehe, desto klarer werde es, wie groß das Trümmerfeld sei, das der Nationalsozialismus hinterlassen habe. Noch manches Jahr würde vergehen, ehe mit dieser Hinterlassenschaft aufgeräumt sei.
Die Bundesregierung werde dem deutschen Volk zunächst eine Bilanz der Kriegsschuld vorlegen müssen. Sie habe bereits damit begonnen, einmal die Größe aller Verpflichtungen insgesamt festzustellen, die gegenüber Flüchtlingen, Evakuierten, Bombengeschädigten und Kriegsgeschädigten aller Art bestehe. Bisher seien diese Verpflichtungen zu sehr stückweise betrachtet worden. Jetzt wolle die Regierung einmal ein vollständiges Bild geben. „Ich fürchte, es wird erschreckend sein.“ Aber das deutsche Volk müsse einmal Klarheit über die Lasten gewinnen, die auf uns ruhen und die Bundesregierung benötige eine umfassende Grundlage, um die Möglichkeit ihrer Hilfsleistungen, die im übrigen in der Zwischenzeit fortgesetzt wurden, richtig einschätzen zu können.
Die Arbeitslosigkeit
Als zweites Problem nannte der Bundeskanzler den Wohnungsbau, dessen Finanzierung er für gesichert halte. Ab März werde der Wohnungsbau stark belebt werden. Dies werde sich — neben der Verringerung der Wohnungsnot — auch günstig auf die wirtschaftliche Lage auswirken. Die Zahl von 1,5 Millionen Arbeitslosen sei für viele Betroffene sehr groß. Allerdings müsse man ihr den Anstieg der Zahl der Beschäftigten gegen- überstellen. Im Dezember .1949 seien im Bundesgebiet 12 209 000 beschäftigt gewesen gegenüber 11 568 000 im Jahresdurchschnitt von 1936, wobei man allerdings das Ansteigen der Einwohnerzahl in diesem Jahre berücksichtigen müsse. Eine wirkliche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei nur durch den Wohnungsbau und die Auslandskredite möglich. Mit diesen könne man aber nur rechnen, wenn zuvor die alten deutschen .Auslandsschulden bereinigt würden. Bevor diese Frage, deren Regelung nicht nur in deutschen Händen liege, nicht geklärt sei, könne man nicht erwarten, daß Deutschland als kreditfähig angesehen werde. Die Bundesregierung habe daher nur die dringende Bitte an die Alliierten, die Ordnung der alten Schuld und die Gewährung neuer Kredite möglichst bald in die Wege zu leiten. „Sollten diese Fragen in der ersten Hälfte dieses Jahres nicht in Ordnung kommen, werden wir in eine schwierige Lage geraten.“
Der amerikanischen Aufforderung, alle Preisstürze — auch für importierte Le
bensmittel — Wegfällen zu lassen, werde die Bundesregierung nachkommen, weil sie selbst die Situationspolitik im Prinzip für falsch halte. Wenn dadurch dasLohn- und Preisgefüge berührt werde, dann müsse auf jeden Fall versucht werden, eine neue Regelung in freiwilligen Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern ohne große Unruhen zu finden. Der Gedanke der Liberalisierung des Handels und ihr Ziel, die wirtschaftliche Vereinigung Westeuropas werde von der Regierung absolut bejaht und zwar aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Dr. Adenauer erwähnte als weitere Aufgabe für 1950 die Regelung der Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und in der Wirtschaft. „Jeder von ihnen wird verstehen, daß ein Land wie Deutschland alles tun muß, um in der Gegenwart alle großen wirtschaftlichen Kämpfe zu vermeiden. Ich glaube, daß beide großen Parteien hierin mit der Regierung der gleichen Auffassung sind.”
Zur Außenpolitik sagte der Bundeskanzler auf eine Frage, was man von der deutschen Souveränität in diesem Jahre erwarte: „Seien wir nicht zu hastig und haben wir etwas Geduld! Im allgemeinen glaube ich, daß diese Dinge von selbst reifen und wahrscheinlich viel schneller, als wir dachten.”
Aehnliche Gedanken wiederholte der Kanzler, als er nach dem Zeitpunkt der Ernennung eines deutschen Außenministers befragt wurde. Zunächst würden etwa 30 ausländische Staaten ihre Missionen in Bonn einrichten. Dann werde es sich bald herausstellen. daß der Verkehr mit der Bundesregierung über die Hohe Kommission unzweckmäßig sei. Uebrigens würden die schon anwesenden Missionschefs Mitte Januar dem Bundespräsidenten ihre Aufwartung machen. Dr. Adenauer sagte ferner, er hoffe, daß konsularische Vertretungen der Bundesrepublik im Laufe weniger Monate eingerichtet sein werden. Zunächst würden Vertretungen in den Ländern geschaffen,
mit denen die engsten wirtschaftlichen Beziehungen bestehen.
Das Konstruieren eines Gegensatzes zwischen deutsch -englischen und deutschfranzösischen Beziehungen bezeichnete Adenauer als „antiquiert”. Europa sei so schwach, daß alle europäischen Nationen zusammenstehen müßten. Wer in solchen Gegensätzen denke, habe die wirkliche Lage noch nicht erfaßt. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Bundesregierung eine Sicherheitsgarantie für die Bundesrepublik wünsche, erwiderte Adenauer zunächst scherzend: „Wünschen Sie das nicht auch?” Mit dieser Frage werde ein sehr ernstes Thema angeschnitten. Deutschland befinde sich im Spannungsfeld zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten , ohne Sicherheit dürfe es nicht in einen Strudel hineingezogen werden. Auf die Frage, wie er sich im kommenden Jahr das Verhältnis gegen Ostdeutschland denke, antwortete der Kanzler knapp und scharf: „Ich bitte Sie, diese Frage nach dem Osten zu richten.”
Neujahrsempfänge bei Heufi
BONN. (W.-Eigenbericht.) Bundespräsident Prof. H;uß hat zwei Neujahrsempfänge für die Bundesregierung und die beiden gesetzgebenden Kammern gegeben. Der Präsident des Bundesrates , Ministerpräsident Karl Arnold , überbrachte, in Begleitung seiner Stellvertreter, der Ministerpräsidenten Dr. Gebhard Müller und Hin- rich Kopf, die Neujahrsglückwünsche des Bundesrates. Beim Empfang des Kalb : netts beglückwünschte der Kanzler Prof. Heuö. weil er schon in kurzer Zeit die Herzen des Volkes gewonnen habe. Der Bundes- präsddent dankte der Regierung für ihre Arbeit, die oftmals im Ausland mehr Anerkennung gefunden habe als beim eigenen Volk. Zuletzt überbrachte Präsident Dr. Erich Köhler die Glückwünsche des Bundestages. Vizepräsident Professor Carlo Schm d konnte nicht erscheinen, da er ln Pari* einen Unfall erlitten hat.
Kurz notiert
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In den vergangenen Tagen sind im Heim- ! kehrerlager Gronenfelde bei Frankfurt ander Oder sechs Transporte mit insgesamt 18501 deutschen Gefangenen aus der Sowjetunion angekommen. i
Der Badische Landtag tritt am 18. Januar xu einer Sitzung zusammen, die voraussichtlich vier bis fünf Tage dauern wird. ;
Staatspräsident Wohieb stattete am 30. Dezember dem Staatspräsidenten von Württem- berg-Hobenzollem, Dr. Gebhard Müller , einen Privatbesuch ab.
800 Arbeiter der Daimler-Benz-Werke in Mannheim , die ans Protest gegen die Nichtbeachtung des Mitbestimmungsrechtes der Betriebsräte in den Streik getreten waren, haben ihre Arbeit wenige Stunden später wieder aufgenommen.
Seit Kriegsende gingen 48 Schiffe auf allen Meeren der Welt durch Minenexplosionen verloren. 126 Schiffe wurden beschädigt.
Ehemalige deutsche Offiziere haben beim britischen Außenministerium ein Gnadengesuch für den zu 18 Jahren Gefängnis verurteilten früheren deutschen Generalfeldmarschall v. Manstein eingereicht.
Die drei Hohen Kommissare haben Koblenz zum Sitz des militärischen Sicherheitsamtes bestimmt.
In Duisburg brachte eine 46jährige Bergmannsfrau ihr 20. Kind zur Welt. Dreizehn ihrer Kinder, von denen zehn bei den Eitern wohnen, sind noch am Leben.
Etwa 35 Prozent aller im vergangenen Jahr als Schmnggler im Grenzranm Aachen verhafteten Personen waren Franen. Die Mehrzahl der weiblichen Schmuggler trug Männerkleidung.
In einem Bergwerk in der Nähe von Graz kamen durch schlagende Wetter sechs Bergleute ums Leben. Acht weitere Bergleute wurden verletzt.
Prinz Bernhard der Niederlande ist an Bord des holländischen Flugzeugträgers „Karel Borrman“ zu einem Staatsbesuch Bach Westindien, Südamerika, Mexiko und Kanada abgereist.
Ein Düsseldorfer Dentist hat eine neue Methode der Zahnbehandlung gefunden. Seine Patienten bekommen eine Klingel ln die Hand und dürfen beim geringsten Schmerz läuten. Dann unterbricht der Dentist seine Arbeit, bis sich der Kranke wieder erholt hat.
Drei Engländer — darunter ein 69jähriger Rentner — haben beim englischen Fußball- Toto je 30 080 Pfund Sterling (rund 350 000 D- Mark) gewonnen.
Ein Mitglied der Britischen Vereinigung zur Forderung der Naturwissenschaften hat festgestellt, daß sich die Gelehrsamkeit auf den Haarwuchs der Männer ungünstig, auf den der Frauen dagegen günstig auswirke.
Nach einer Meldung des Moskauer Rundfunks soll der sowjetische Kollektivbauer Mahmud Ejwasow das Rekordalter von 140 Jahren erreicht haben. Der Greis will insgesamt 118 Nachkommen besitzen.
Jeder Amerikaner — Frauen und Kinder inbegriffen — zahlte nach einer Statistik des US -Handelsministeriums seit Kriegsende 280 Dollars Auslandshilfe. Die USA haben seit Sommer fast 30 Milliarden Dollars als Nachkriegshilfe ins Ausland überwiesen.
In Sibirien Ist die Temperatur auf 44 Grad nnter Null gesunken. In Moskau zeigt das Thermometer 22 Grad Kälte.
Die amerikanischen Staaten Colorado und Montana liegen im Bereich einer Kältewelle, die so stark ist, daß das Quecksilber in den Thermometern gefriert und nur noch die Alkoholthermometer gebrauchsfähig geblieben sind. Die niedrigste Temperatur liegt bei minus 45 Grad Ceslius.
Eine Hitzewelle, die seit einigen Tagen über Australien liegt, hat an mehreren Stellen ausgedehnte Steppenbrände verursacht. In Queensland sind rund 13 0M Quadratkilometer Grasland abgebrannt.
Da die chinesischen Kommunisten an Stelle des bisher gebräuchlichen Mondkalenders den Gregorianischen Kalender eingeführt haben, wurde in China zum erstenmal der Neujahrstag am 1. Januar gefeiert.
Die rote Regierung in Peking bezeichnete die Beamten des Kinderhilfsfonds der Vereinten Nationen als „eine Bande von Taschendieben“ und forderte sie auf, China zu verlassen.
FREIBURG . (W.S.-Eigenbericht.) Staatspräsident Wohieb beantwortete in einem Schreiben vom 2. Januar die letzte Note der württembergisch-badischen Regierung zur Südweststaatfrage. Die badische Landesregierung bedauere, dem Vorschlag weiterer Abstimmungsbedingungen aus den bekannten Gründen nicht zustimmen zu können, da sie durch die Beschlüsse der CDU von Freudenstadt gebunden sei. Sie sei der Auffassung, daß an dem schon in Bühl gegebenen Zugeständnis der zwei Abstimmungsbezirke (Gesamtbaden und Gesamtwürttemberg) ebenso an dem Grundsatz der Auswertung des Abstimmungsergebnisses, der vorgesehen habe, daß die in den beiden alten Ländern Württemberg und Baden abgegebenen Stimmen nach den alten Ländern durchzuzählen seien, festgehalten würde. Die neuen Vorschläge aus Stuttgart könnten in ihrem Ergebnis darauf hinauslaufen, die Wiederherstellung der alten Länder unmöglich zu machen.
Staatspräsident Wohieb wiederholte das bereits im November gemachte Verhandlungsangebot. In einem Schreiben an den •üdwürttembergischen Staatspräsidenten i Dr. Gebhard Müller erklärte er sich eben- I falls zu neuen Verhandlungen bereit. Er i nannte als Vertreter der badischen Regierung Oberlandesgerichtspräsident Dr. Zürcher und den Legationsrat Dr. Janz.
Dr. Zürcher spricht offener
FREIBURG . (W-S.-Eigenbericht.) Dr. Zürcher erklärte zu der neuerlichen Be- j hauptung des württembergiech-badischen
Landtagspräsidenten Keil, die südbadische Regierung sei trotz der Dementis wegen
einer finanziellen Unterstützung an schweizerische Industriekreise herangetreten, es sei möglich, daß ein Basler Unternehmen an ihn als den Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Badener herangetreten sei, und ihm Unterstützung ange- boten habe. Dies sei darauf zurückzuführen, daß die Basler Industrie bei der Schaffung eines Südweststaates den Durchgangsverkehr Deutschland-Schweiz-Italien über Basel zu verlieren befürchte, weil dann mit einem starken Ausbau der Strecke Stuttgart -Zürich zu rechnen sei.
BONN. (W.-Eigenbericht) Bundeskanzler Dr. Adenauer hat Presseberichte dementiert, wonach er während der Weihnächte' iertage in Freiburg mit dem badischen Staatspräsidenten Dr. Wohieb über Fragen des Südweststaates verhandelt haben solle. Dr. Adenauer sagte, er sei während der Festtage „weder in Rom noch in Maria Laach , weder bei de Gaulle noch bei Wohieb” gewesen, sondern nur in seiner Wohnung in Rhöndorf bei Bonn . Zu dem Problem des Südweststaates selbst äußerte sich der Kanzler nicht.
Länderchefs bei Francois-Poncet
KOBLENZ. Der Hohe französische Kommissar Frangois-Poncet empfing auf Schloß Emich Staatspräsident Wohieb (Baden ), Staatspräsident Dr. Müller (Würt- temberg-HohenaoIlem) und Ministerpräsident Altmeier (Rheinland-Pfalz ). Er übermittelte ihnen zum Jahreswechsel seine besten Wünsche und unterstrich die Fortschritte, die kn abgelaufenen Jahr gemacht werden konnten.
Das versöhnende „Ja 11 suchen
Erzbischof Dr. Rauch behandelt Flüchtlingsfragen im Hirtenbrief
FREIBURG . In einem Hirtenbrief Bum Heiligen Jahr, der in den katholischen Kirchen der Erzdiözese Freiburg am kommenden 6onnitag verlesen werden wird, behandelt Erzbischof Dr. Wendelin Rauch u. a. auch die Flüchtlingsfrage. Der Erzbischof bezeichnet es als eine „Uebung des Heiligen Jahres“, wenn die Bewohner solcher landteile, die im Frühjahr Flüchtlingstransporte eufnehmen müssen, den entsprechenden Wahnraum herrichten und verbessern. Wenn die Ankommenden die j liebende Sorge spüren, so werde den Män- ! geln des Gebotenen die aufreizenden Stacheln genommen. In manchen Teilen der Erzdiözese, in denen Flüchtlinge in gro- j ßer Zahl schon seit längerem vorhanden 1 seien, sei es noch immer nicht gelungen,
Daseinsbedingungen zu schaffen, die che berechtigten Wünsche erfüllen.
Auf seine Eindrücke in der nördlichen Hälfte der Diözese eingehend, schreibt der Erzbischof in seinem Hirtenbrief, er habe die vorhandenen Schwierigkeiten tief empfunden und nun die Ueberzeugung gewonnen. daß auch bei bestem beiderseitigem Willen nicht alle Schwierigkeiten zu beheben seien. Es handele sich aber um eine unserem Volk nun einmal unausweichlich auferlegte Aufgabe. Die harte Prüfung könne eine für die Zukunft stärkende Probe sein, wenn man bei seinem Nächsten auch dann den Menschen achte, wenn er sich unverständig verhält und wenn man ihm gegenüber nicht das ablehnende „Nein“ sondern das versöhnende „Ja“ suche.
Von
Sigurd Paulsen
Daß Italien kein Mandat über seine ehemaligen nordafrikanischen Kolonien erhalten hat, ist ein schwerer Schlag — für Frankreich . Lybtien lag unter italienischer Herrschaft, wie ein Sperriegel, zwischen dem freien Aegypten und dem nur nominell von seinem „Bei“ beherrschten, de facto französischen Tunis, urd dem Frankreich einverledbten Algerien . Es trennte mit seinem breiten Wüstengürtel das islamische Zentrum Kairo von den französischen Besitzungen und Marokko , die ihre Blicke auf Paris richten sollten. Die wich- I tigste Folge de« UNO -Beschlusses über die ehemaligen italienischen Kolonien ist, daß Lybien 1952 ein freier Staat wird, während die viel ältere und fester verankerte Eigenstaatlichkeit von Tunis und Marokko starken Beschränkungen unterworfen bleibt. Für das Selbstbewußtsein der Moghreber, der nordafrikanischen Araber, die den Kern der -nationalistischen Intelligenz in Tunis, Algier und Marokko bilden, ist das eine schwer zu ertragende Zumutung.
Die Italiener hatten denn auch, als sie bei der UNO um die Treuhänderschaft für ihre Kolonien aus vorfaschdstischer Zeit vorstellig wurden, zuerst Frankreichs Ohr gefunden. Noch vor einem Jahr verkündete Premierminister de Gasperi nach seiner Pariser Reise, die Zeit arbeite für Italien . Das hat sie nicht getan, trotz der großen Gewandtheit des Außenministers Graf Sforza. Der Mißerfolg des Bevin- Sforza-Plans, der die Selbständigkeit der Cyrenaika unter der Herrschaft des Se- noussiordens bestätigte, aber Tripolis ab 1951 Italien unterstellen wollte, ist beinah tragisch zu nennen. Die notwendige j Zweidrittelmehrheit wäre im Mai d. J. vor der UNO fast erreicht worden. Guatemala aber wandte sich wegen des Konflikts um Britisch Honduras gegen dieses von den Briten empfohlenen Vorschlag. In den Mittelamerikanischen Republiken ziehen die Parolen „lateinischer“ Brüderschaft nicht, die in Südamerika so viel Geltung haben.
Aber dies Abstimimrasgsmalheur allem hätte wohl so beharrliche und zähe Kämpfer wie Sforza und de Gasperi nicht abgeschreckt, wenn nicht von Kairo aus der Generalsekretär der „Arabischen Liga “, Azzam Pascha, der in Palästina vielfach Enttäuschte und Besiegte, gleichzeitig einen glücklichen Coup in Tripolis gelandet hätte. Er veranlaßte in den Maitagen schwere Unruhen und Protestkundgebungen gegen eine Wiederkehr der Italiener. Während die UNO tagte, wurde vor dem amerikanischen Konsulat in Tripolis das Sternenbanner in Fetzen gerissen. Aehrliche Demonstrationen spielten sich vor dem britischen Militärhauptquartier ab, das überrascht worden zu sein scheint, denn niemand hatte der seit ihrer blutigen Unterwerfung durch Mussolini apathischen Bevölkerung einen solchen Ausbruch zugetraut. Er hat genügt, um den Bevin-Sfor- za-Plan vollends zu zerreißen. Der amerikanische Konsul in Tripolis unterrichtete sein Außenministerium davon, daß mogh- rebische Führer, diie sich auf ihr Emigrationszentrum in Kairo stüzten, mit einer „unblutigen Revolution“ drohten. Da man in Washington lin diesen für die Mittel- meerstrategie wichtigen Gebieten keinen Kolonialkrieg wollte, hat diesmal eine Handvoll fanatisierter Tripolitaner in der Tat Geschichte gemacht.
Amerika hatte sein zögerndes Eingehen auf die italienischen Mandatswünsche an die Bedingung geknüpft, daß die Italiener eine eingeborenen-freundliiche Kolonialpolitik trieben, die sich vom den unterm Faschismus üblichen, an den Namen Gra- zianis geknüpften harten Methoden deutlich unterschied. Rom war mit Freuden dazu bereit. Aber selbst Engelsgeduld und liebevolle Nachricht vermögen auf die Dauer mit einer Kampagne des zivilen, gewaltlosen Widerstandes nicht fertig zu werden. Das hat Gandhi bewiesen. Gerade das aber drohte das Sekretariat der Arabischen Liga mit dem Wort „unblutige Revolution“ den unschlüssigen Westmächten an. Man hätte den Italienern arabischer- seits einfach nicht erlaubt, milde Erzieher und vorbildliche Treuhänder zu sein. Amerika strich die Segel.
Ueberraschend schnell hat das italienische Volk die Enttäuschung überwunden. Es ist ihm schließlich wichtiger, daß dem Elend revoltierender Bauern in Calabrien ein Ende gemacht wird, als daß neue Kapitalien, die man doch nur auf dem Anleihewege beschaffen könnte, in Kolonien gesteckt werden, die dem modernen islamischen Nationalismus endgültig verfallen sind. Rom , dem man vorwart es leide unter der „afrikanischen Krankheit“ kolonialimperialistischer Geltungssucht, hat mit sicherer Hand einen Strich unter seine tri- politanisehen Aspirationen gesetzt. In italienisch Somaliland wird es als von der UNO bestäifgter Treuhänder als Gönner des Islam auftreten müssen, um den Eingeborenen als das geringere Uebel gegenüber dem koptisch -christlichen Abessinien