Me 46a.
Beilage zum Protofoll der 93. öffentlichen Sigung der zweiten Kammer vom 11. Juni 1906.
Auf die Interpellation der Herren Abgg. Obkircher und Genoſſen betreffend die unter Mißbrauch des geiſt—| lichen Amtes erfolgte politiſche Beeinfluſſung der Wähler| habe ich nameng der Groph. Regierung folgende Ertlä- rung abzugeben:
Nadh 8 7 des Geſetzes vom 9. Oftober 1860, die|
rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betr., orÐnen und verwalten die vereinigte evangeliſch-proteſtantiſche und die römiſch-katholiſche Kirche ihre Angelegenheiten frei und ſelbſtändig und ſteht ſonach grundſätzlich— unbeſchadet der ſtaatlichen Hoheitsrechte — die Disziplinargewalt über die Geiſtlichen dieſer Kirchen den oberſten Kirchenbehörden zu.
Ein ſtaatliches Einſchreiten gegen Geiſtliche der beiden
Landeskirchen, die dienſtlich durch Mißbrauch ihres Amtes, oder durch ihr außerdienſtliches Verhalten zu Beanſtan— dungen Anlaß geben, iſt hiernach, ſoweit nicht die geſetz— lichen Vorausſetzungen zur Einleitung eines ſtrafgericht— lichen Verfahrens gegeben ſind, oder im Einzelfalle das der Staatsregierung durch 89 des vorgenannten Geſetzes vorbehaltene Recht der Mißfälligkeitserklärung zur An— wendung kommen kann, auf den Weg des Benehmens mit den oberſten Kirchenbehörden gewieſen. Dementſprechend hat die Großh. Regierung zu keiner Zeit es unterlaſſen, im Intereſſe einer geſunden Entwick— lung des kirchlichen Lebens im Lande nachdrücklichſt bei den zuſtändigen Kirchenbehörden die Zurechtweiſung Geiſtlicher zu verlangen, die durch Überſchreitung ihrer amtlichen Befugniſſe oder ungeeignetes außerdienſtliches Auftreten zu begründeter Beſchwerde Anlaß gaben. Was insbeſondere die Beteiligung des katholiſchen Klerus bei politiſchen Wahlen angeht, ſo hat die Großh. Regierung ſchon im April 1904 unter Hinweis auf Vorkommniſſe bei der Reichſtagswahl des Jahres 1903 ihre Auffaſſung der katholiſchen Kirchenbehörde gegenüber dahin geltend gemacht, daß unbeſchadet des geſetzlichen Rechtes, das dem Geiſtlichen wie jedem Staatsbürger zuſteht, ſeiner politifchen Überzeugung zu geeigneter Zeit und am geeigneten Orte Ausdruck mit Wort und Tat zu— geben, der politiſchen Tätigkeit des Geiſtlichen durch den öffentlichen Charakter ſeiner Stellung und die
Verhandlungen der zweiten Kammer 1006/06. 2. Beilageheft.
Würde und Aufgaben ſeines Amtes Schranken gezogen ſeien, die er ohne Schädigung dieſes Amtes und des Anſehens ſeines Standes nicht überſchreiten könne.
Schon bei dieſem Anlaſſe und mit verſtärktem Nach— druck im November 1904 nach Bekanntwerden des Rundſchreibens des Zentralkomitees der Zentrumspartei an die katholiſchen Pfarrämter, wurde mit dem gleich— zeitigen Verlangen einer kirchenamtlichen Remedur gegen einen derartigen eigenmächtigen Äbergriff einer politiſchen Partei in den amtlichen Wirkungskreis der Seelſorge— geiſtlichen die Kirchenbehörde auf die Beſtimmungen des $ 16b und c deg Gefeges vom 9. Oktober 1860 mit dem Wunfhe aufmerffam gemat, e8 möge durh Gin- ſchränkung der politiſchen Agitation der Geiſtlichen die Regierung der peinlichen Notwendigkeit enthoben werden, im Wege des Strafverfahrens einſchreiten zu müſſen.
Es erfolgte daraufhin das der Regierung von der Kirchenbehörde amtlich mitgeteilte weitere Rundſchreiben des Zentralkomitees, in welchem ausdrücklich zur Ver— meidung von Mißverſtändniſſen erklärt wird,„daß die Parteileitung weit entfernt ſei, zu glauben oder zu wünſchen,
die Geiſtlichen ſollten in irgend einer Weiſe ihr kirch—
benützen, um politiſche Intereſſ
liches Amt, ſei es auf der Kanzel, ſei es ſonſtwie, dazu TR ffen der Hentrumêpartei gu fördern."
Œs tann nun nah den der Groh. Regierung gewor- denen amtlichen Informationen einem Hweifel unter- liegen, Dağ Dem entgegen anläplih der legten Wahlen, in verſchiedenen Bezirken katholiſche Geiftlihe unter mehr oder minder offener Verwertung des Einfluſſes ihrer kirchenamtlichen Stellung an den Wahlkämpfen hervor— ragend teilgenommen haben.
In ſieben der der Großh. Regierung bekannt gewor— denen Fälle, bei denen die Vorausſetzungen der Beſtimm— ungen deS§ 16b lit b und§ 166c deg mehrgenannten Gefekes vom 9. Oftvber 1860 gegeben erfóienen, find die zuſtändigen Staatsanwaltſchaften zur Einleitung des Strafverfahrens veranlaßt worden. In drei dieſer Fälle iſt erſtinſtanzliche Verurteilung bereits erfolgt, eine Ent— ſcheidung der Berufungs - bezw. der Reviſionsinſtanz da— gegen noch nicht ergangen. In den vier anderen Fällen iſt das Verfahren ſeitens der Staatsanwaltſchaft ein— geſtellt worden.
Bezüglich weiterer, eine ſtrafgerichtliche Verfolgung nicht rechtfertigenden Ausſchreitungen hat die Großh. Re—
425 54