Karlsruher Beobachter.

Nr. 11

Sonntag den 7. Februar

1847 .

Eine Episode aus der Zeit der Kontinentalsperre Napoleon's.

(Fortsetzung.)

Endlich, sieben Tage nach unserer Einschiffung in der Mün­dung der Maas, bot sich die hübsche kleine Stadt Harwich mit ihren schmucken Häusern und ihrem mit Fahrzeugen aller Art angefüllten Hafen unseren erfreuten Blicken dar. Der Morgen war frisch und heiter; die Sonne strahlte von dem unbewölkten Himmel so glanzend nieder, als ich es selten in England wahr- genvmmen. Wir beeilten uns mit der Ausschiffung; aber ein Polizeibeamter kam zu uns an Bord und bat uns, noch solange zu warten, bis wir die Erlaubniß des ^lisn Okllce erhalten hätten. Jndeß schrieben wir an unsere Londoner Freunde und befanden uns am anderen Tage, nachdem alle Angelegenheiten in Ordnung gebracht waren, in einem der besten Gasthäuser Londons. Ich muß hier einen Zwischenfall erwähnen, der einen Begriff von der Strenge gibt, mit der die Gränzbewachung ausgeführt wurde. Bei unserer Ankunft in Harwich drang eine Menge von Kor­respondenten der vornehmsten Londoner Journale auf uns mit der stürmischen Frage ein, ob wir nicht Neuigkeiten oder fremde Zeitungen mitgebracht hätten? In der Thal fand einer von mei­nen beiden Reisegefährten in seiner Tasche ein halbzerriffenes und beschmutztes Bruchstück einer Zeitung, die aber wenigstens drei Wochen alt war; nichtsdestoweniger wurde ihm auf der Stelle für diesen Papierfetzen eine bedeutende Summe gezahlt, womit er seine Reisekosten von Harwich nach London decken konnte.

Die ersten Tage meines Aufenthalts in London widmete ich ausschließlich den Geschäften. Bor allen Dingen begann ich über mein Unternehmen, nach Helgoland zu schiffen, alle nur mögliche Notizen zu sammeln, wozu ich 14 Tage brauchte, ehe ich zu einem wirklichen Resultat gelangte. Dieser Plan war bisher ein Geheimniß für das Publikum geblieben; denn die große Masse der Kaufleute kannte kein Mittel, Maaren nach dem Festlande iu senden. Endlich entdeckten meine Freunde den Unterhändler, der das erste Fahrzeug nach Helgoland expedirt hatte, wovon ich ><bvn in Paris ein paar Worte gehört hatte. Er hatte in diesem Augenblick eine zweite Expedition vorbereitet. Sofort machte ich Einkäufe im Betrage der Summe, über die ich gebieten konnte, und schiffte nach und nach meine Waarentransporte ein. Das Teheimniß war indeß bald verschwunden, und alle Welt wollte «n dem Unternehmen Theil haben; die Reisegelegenheiten waren letzt fast täglich geworden; und da ich mich davon überzeugt hatte, daß meine Maaren bereits unterwegeS waren, so bestieg düch ich bald ein Schiff und eilte ihnen nach, um ihre Einfüh­rung auf daS Festland zu überwachen. Als ich in Helgoland an­

langte, befanden sich meine ersten Sendungen bereits auf dem Festlande. Alles schien einen glänzenden Erfolg zu versprechen, als wir eines Tages plötzlich durch die Nachricht aufgeschreckt wurden, daß 6000 Zollbeamten die Ufer des Rheins verlassen hätten, um eine Linie von Düsseldorf bis Lübeck zu bilden und so das Land, wo die Maaren kürzlich eingeführt worden waren, zu umzingeln. Am Vorabend der Schlacht von Wagram hatte Napoleon mit jener Unermüdlichkeit, wodurch er den ganzen Um­fang seines ungeheuren Reiches überwachte, und mit jener Er­bitterung gegen die Engländer, womit er sie in Deutschland und auf allen Meeresküsten angciff, diesen Befehl gegeben, der alle unsere Maßregeln über den Haufen warf. Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren; es galt jetzt, die bedrohten Maaren, wenn es noch nlöglich war, in aller Eile zu retten.

Helgoland ist ein nackter, etwa 4 Meilen von der Mündung ,der Elbe entfernt im Meere gelegener Felsen, dessen Umfang V. Meile beträgt. Seine Ufer sind fast überall so schroff und .steil, daß er kaum zu besteigen ist. In der That gelingt dieses nur aus der einen Seite, wo der Fels sich in ein Sandufer von einigen Klaftern Ausdehnung abplattet, und von wo aus man den Felsen auf einer in das Gestein eingehauenen Treppe be- steigt. Diese kleine, von dreißig und einigen Fischerfamilien be­wohnte Insel gehörte lange Zeit den Dänen, die sie jedoch in dem letzten Kriege den Engländern abtretcn mußten, weil Letztere darin ein gutes Verbindungsmittel für ihren Handel mit der Küste Norddeutschlands erblickten. Als ich dort anlangte, war dieser bisher unbekannte Punkt der Erde seit einigen Wochen von einer zahllosen Menge Fahrzeuge umgeben und mit Maaren der verschiedensten Art überfüllt. Man würde dort Alles gefun­den haben, außer Wohnung und Lebensmitteln. Denn es gab auf der ganzen Insel nur ein schlechtes Wirthshaus und zwei Betten, und Niemand hatte daran gedacht, die geringste Vorbe­reitung zur Aufnahme der schwimmenden Bevölkerung zu machen. Mit 30 Francs auf den Tag konnte man sich kaum das Roth- wendigste beschaffen, wofür man in Paris 40 Sous gezahlt hätte. Ein Glück war es, daß die Gesellschaft sich unaufhörlich erneuerte, wodurch wenigstens der Ausbruch einer Krankheit verhindert wurde.

Die Hoffnung, mir ein Bett verschaffen zu können, Hatteich längst aufgegeben; so machte ich mich denn mit einigen anderen Unglücksgefährten auf den Weg nach dem Leuchtthurm, mit der Absicht, dort die Nacht zuzubringen. Wir setzten uns auf unsere Schlafröcke und Mantelsäcke rings um den ungeheuren, blenden­den Lichtglobus; der Himmel war hell, die Luft scharf und durch­dringend; obwohl sehr gut bekleidet, hielt ich es doch in dieser Lage nicht länger aus, sondern kehrte nach dem Dorfe zurück, um noch einen Versuch zu wagen, ein anderes Nachtlager zu er­obern. In der Wohnung meines Korrespondenten war noch Licht; ohne Zögern klopfe ich an die Hausthür, die auch alsbald