Heidelbg, 29 XI 1922
Verehrter Herr Sörgel!
Meinen Dank für Ihren freundlichen Brief.
Ich freute mich, aus Ihren persönlichen Worten zu
hören, daß mein Schaffen somit der ersten Bearbeitung
Ihres so inhaltsreichen Buches "Dichtung und Dichter der
Zeit"1 in Ihnen fortgewirkt hat. Auch ich bin wirklich
nicht stehen geblieben. Wenn man nunmehr 50
ist, möchte man wieder von vorn anfangen und
beginnen. Da wird die innere Verpflichtung des
Dichters ungeheuer. Er weiß jetzt: Diese Gestaltungen
aus Welt- und (-unklar-)Erlebnissen, die sich durch ge-
heimnisvolle Fügung in ihm versam̅eln konnten:
Sie werden auf lange Zeit sich in keinem Menschen
mehr zusam̅enfinden; wohl überhaupt niemehr in
einem Menschen! - Welche Fülle glücklicher Um-
stände ist notwendig, um einen Dichter auf seinen
in̅eren Gipfel zu führen! Um den großen Gesang
frei zu machen! -
- Albert Soergel:
Dichtung und Dichter der Zeit
Eine Schilderung der deutschen Literatur der letzten Jahrzehnte
R. Voigtländers Verlag, Leipzig, 1911 ↩