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ftette 4 / Nr. 44
SODKUR1EK
Dienstag, 3. Juni 1947
Ein Plat^ blieb leer...
Von Rudolf Graf Thun-Hohenstein
|f?r
feil'
fibde April 1947: die österreichiscbe Volks-
■fcartei, die Partei auf breitester Grundlage,
die Partei, die beansprucht, über allen Klas¬
sen, Ständen und Unterstünden ein großes
Sammelbecken der aufbau-willigen Oester-
•ei«her zu sein, hält ihren Bundesparteitag
ab. Und tatsächlich kommen von allen Ted-
len Oesterreichs Delegierte aus den ver¬
schiedensten Berufen, aus allen Schichten der
Bevölkerung, um ihre Beratungen abzuhal-
4eo. Nur ein Platz bleibt leer: der der Ti¬
roler Abordnung. Sie war ostentativ den
Beratungen ferngeblieben, um gegen ge¬
wisse zentralistische Maßnahmen der eige¬
nen Regierung Figl (es handelte Sich um die
Verwendung des Tiroler Stroms) zu prote-
Btieren.
Diese Tatsache ist äußeres Symptom eines
Kampfes, der im allgemeinen nur unter der
Oberfläche ausgetragen wird. Wiener Zen¬
tralismus — oder Eigenverwaltung der Län¬
der ist das Problem. Wien mit seinem Ueber-
gewicht in jeder Hinsicht ist allein schon
durch sein Vorhandensein ein ständiger Ruf
2 um Zentralismus, dem großen Scfalagwort
jeder technisierten Zeit. Die Länder aber,
die Wien gerne als den „Wasserkopf" be¬
zeichnen, fürchten den Leviathan des Zen¬
tralismus, der mit der Verwaltung auch al¬
les Eigenleben uniformieren würde. Es wer¬
den Beispiele herangezogen, die die Un¬
fähigkeit einer übergroß werdenden Ver¬
waltung aufzeigen sollen. So beklagen die
Tiroler sich, daß das zentrale Ernäbrungs-
mindsterium noch immer die Lieferungen für
eine volle Periode schuldig sei! Es wird
auch darauf hingewiesen, daß ein vollstän¬
dig zentralisierter Verwaltungsapparat zu
schwerfällig sei und daß die entstehenden
Rdeeenämter nur Schlupfwinkel für Korrup¬
tion und Schiebereien sein würden. Aber das
Hauptargument der Länder bildet doch die
Forderung, ihre geschichtlich gegebene Ei¬
genart zu achten, weil das das Fundament
sei, auf dem allein Oesterreich aufgebaut
werden könne.
Hinter diesen Worten steckt viel Wahres.
Fast -nie in seiner Geschichte hat das Staats¬
gebiet des heutigen Oesterreich eine staats¬
politische Einheit gebildet. Die Einheit der
Länder war lange Zeit hindurch nur durch
den Herrscher, ja oft sogar nur durch die
Herrscherfamilie gegeben. Jahrhunderte¬
lang waren die „österreichischen", die „stei¬
rischen“ und die „tirolischen" Lande von ei¬
ner eigenen Linie der Habsburger beherrscht
und auch die vorübergehenden Zusammen¬
fassungen konnten an dem grundsätzlich
eigenständigen Charakter der Teile nichts
Wesentliches ändern. Ein neuer Herrscher
mußte immer alle eifersüchtig bewahrten
Privilegien bestätigen und versprechen, je-
Föderalisierie Elektrizität
Das ^Ausbleiben deutscher Kohle hat in
der Schweizer Wirtschaft den Wunsch er¬
weckt, noch mehr als bisher hydraulische
Energiequellen zu erschließen, um Industrie
und Gewerbe vor unerwünschten Rückschlä¬
gen zu sichern, eine Lehre auch des letzten,
besonders kalten und wasserarmen Winters.
Ist doch der Verbrauch von 1938 ,, 39 bis 1945-
1946 von 5,8 auf 7,7 Milliarden kwh gestie¬
gen, und der Bedarf konnte trotz Inbetrieb¬
nahme neuer und Erweiterung älterer Werke
nicht voll gedeckt werden; was im letzten
Winter zu einschneidenden Verbrauchsein-
gchränkungen. geführt hatte. Obgleich gegen
das Prinzip der Erschließung neuer Energie
heute kaum Einwände erhoben werden, so
sind doch in dem wasserreichen Kanton
Graubünden mehrere Projekte, die das
Quellwasser des Vorder-, Mittel- und Hinter¬
rheins io ein kombiniertes Speicherwerk am
Splügen leiten wollten, gescheitert, und das
gleiche Schicksal droht fast mit Sicherheit
ornarn noch größeren Projekt auf der nörd¬
lichen Gotthardseite im Urserental und ei¬
nem vom Nachbarkanton Tessin begünstig¬
ten Plan, die ungeheuren Reserven der eu¬
ropäischen Wasserscheide auf beiden Gott¬
hardseiten gleichzeitig zu mobilisieren und
damit den Energiebedarf auf Jahre hinaus
zu decken.
Während die Widerstände anfänglich in
erster Linie mit dem Schutz des Landschafts¬
bildes begründet wurden, hat sich die Dis¬
kussion allmählich auf die Frage Föderalis¬
mus oder Gemeinschafts-Wirtschaft zuge¬
spitzt Verfassungsmäßig kompetent für die
Wasserwirtschaft ist nicht der Bund, son¬
dern die Zuständigkeit liegt bei den Kanto¬
nen und Gemeinden. Früher galten die
welschen Kantone als Horte de§ Föderalis¬
mus, diesmal haben sich die Kantone Grau¬
bünden und Uri 60 energisch auf ihre Sou¬
veränität berufen, daß der Bund es nicht
wagte, das Notverordnungssystem anzu¬
wenden. Freilich konnte in manchen Fällen
durch materielle Zugeständnisse das Kan-
tonsgewissen beruhigt werden. Wer hat,
der hat, auch wenn es sich vorerst nur uro
potentielle Wasserkräfte handelt.
Offenbar liegt indessen auch ein tiefes
Mißtrauen der Bauernbevölkerung gegenüber
den anonymen Formen der Kapitalmacht in
in der bisherigen Energiewirtschaft vor.
Während die Fachleute sich darüber strei¬
ten, ob die Großwerke den Strom um einen
Viertel oder halben Rappen je kwh billiger
erzeugen könnten als viele kleine und mitt¬
lere Werke, kümmern sich die föderalisti¬
schen Bauern der Ost- und Zentralschweiz
•weniger um Rationalität.
Da die Masse der Verbraucher jedoch in
erster Linie die Sicherstellung der Versor¬
gung wünscht, und da Diktatur-Entschei¬
dungen mehr denn je verpönt sind, so
werden die Beteiligten sich freundschaft¬
lich verständigen müssen. Vielleicht läßt
sich die kantonale Souveränität durch Be¬
grenzung der Projekte soweit wahren, daß
dennoch eine eidgenössische Ausgleichspo-
Oitik in der Energieverwaltung möglich ist.
£u den bisher schon versäumten Jahren
werden freilich wertere Verzögerungen
kommen, und weitere winterliche Strom-
koapphett. P-
des Land zu regieren, wie es dessen Ent¬
wicklung entsprach. Besonders Tirol war ein
Hort der alten Gewohnheiten und Rechte.
Josef II-, als typisches Kind der Aufklä¬
rung, machte den ersten ernstlichen Ver¬
such, alle österreichischen Länder einheitlich
zu regieren. Er scheiterte an den Widerstän¬
den. Aber seither kämpft der Zentralismus
um seine Durchsetzung. Der Titel „Kaiser
von Oesterreich", den der damalige Herr¬
scher der österreichischen und ungarischen
Lande als Franz I. im Jahre 1806 annahm,
gab ihm den ersten Kristallisationspunkt.
Das 19. Jahrhundert, im Banne der liberalen
Ideen, zentralisierte, um den „rückständi¬
gen" Ländern die Segnungen des „Fort¬
schritts" aufdrängen zu können. Der Wider¬
stand der Länder erzwang diesmal nur mehr
einen Waffenstillstand zwischen den beiden
Grundsätzen, der dann bis zum Ende der
Monarchie währte. Der Umsturz 1918, der
vor allem von Wien ausgegangen war, be¬
deutete das nächste Vordringen des Zen¬
tralismus. Seine natürliche Folge war ein
starkes Stieben der Wien beherrschenden
Partei, der sozialdemokratischen Partei, auch
den Aufbau und die weitere Regierung
Oesterreichs zentralistisch durchzuführen,
um so) den eigenen Einfluß besser durchset¬
zen zu können. Wieder erkämpften sich die
Länder, vertreten vor allem durch die Christ¬
lichsoziale Partei, im Kompromiß der Bun¬
desverfassung von 1922 eine Anerkennung
des föderalistischen Prinzips. Diesmal aller¬
dings unter großen Opfern. Denn die Schlüs¬
selstellung des Landeshauptmanns war dar¬
in schon sehr von ihrem ursprünglichen
Charakter, ausschließlich Träger der eigen¬
ständigen Landesverwaltung zu sein, ent¬
fernt worden dadurch, daß sie nun zugleich
Hoheitsträger der allgemeinen Staatsver¬
waltung geworden war.
Das Bild dieses Kampfes zeigt somit bis
1938 ein wechselndes Gesicht. Es sind aber
vielleicht 2 Punkte, die als allgemeine Kenn¬
zeichen herausgehoben werden können:
Erstens: das Prinzip des Zentralismus ist
— entsprechend der allgemeinen Zeitströ¬
mung — in einem stetigen, wenn auch von
vielen Rückschlägen begleiteten Fortschrei¬
ten begriffen.
Zweitens: der Begriff „Zentralismus" wird
durchgehend mit ,.Fortschrittlichkeit" gleich¬
gesetzt. Damit ist aber auch der Kampf um
den Zentralismus nur eine Nebenerschei¬
nung im Kampf der „fortschrittlichen" gegen
die „rückständigen" Weltanschauungen. Und
damit wieder wird das ganze Problem nicht
unter dem Gesichtspunkt staatlicher Notwen¬
digkeiten, sondern nur unter dem der Siche¬
rung oder Durchsetzung eines weltanschau¬
lichen Parteiprogramms betrachtet
Seit 1938 sind nun darin Aenderungen
eingetreten. Beide Prinzipien haben in den
folgenden Jahren starke Impulse bekom¬
men. Als natürliche Folge des Anschlusses
und des Ueberzentralismus, der noch dazu
von Berlin ausging, entstand zuerst einmal
ein ganz allgemeiner Wunsch nach mehr Be¬
tonung der Eigenständigkeit. Daneben aber
war es gerade dieser Berlin-Zentralismus,
der die österreichischen Länder gewisser¬
maßen „Wiens entwöhnte" und dadurch ei¬
nem künftigen österreichischen Zentralismus,
der ja nach Wien hin ausgerichtet sein
mußte, viel Boden entzog. Das alle s wurde
noch gefördert durch die nach dem Zusam¬
menbruch notwendige Selbständigkeit der
Länder, die infolge der Zoneneinteilung so¬
gar zeitweilig gezwungen waren, eigene
Landes-Handelsverträge abzuschließen. Und
schließlich hat das Vordringen des föderali-
genden Last für das zerbombte Wien abwäl¬
zen zu können.
Die wichtigsten Impulse de« Zentralismus
sind dagegen vor allem die Notwendigkeit,
einen österreichischen Staatsgedanken zu
betonen — was übertrieben in einem öster¬
reichischen Nationalismus münden kann —
und der Zwang, den Aufbau mit einer ge¬
rechten Lastenverteilung durchzuführen,
wa$ oft nur durch zentrale Steuerung ge¬
währleistet ist Zu diesen praktischen Er¬
fordernissen der Zeit tritt noch als nicht zu
unterschätzender Impuls für die Idee des
Zentralismus der Ruf all derer, die sich ihrer
moralischen Verantwortung bewußt sind, in
der Not zusammenzustehen und den vielen
Ausgebombten zu helfen. Da diese Ausge¬
bombten zum größten Teil Wiener sind, ist
dieser Ruf ein Kampf gegen die Animosität
die in den Ländern oft Wien gegenüber
herrscht.
Durch diese Impulse haben sich aber die
allgemeinen Fronten des Streites um den
Zentralismus verschoben. Sie gehen in ge¬
wisser Hinsicht nicht mehr entlang der
weltanschaulich gebundenen Parteifronten,
sondern oft quer durch eie hindurch. Die
österreichische Volkspartei mit christlichem
Gesicht muß sich den staatlichen Notwen¬
digkeiten unserer Zeit zufolge hinter die
zentralistischen Maßnahmen ihrer eigenen
Regierung stellen, während andererseits die
sozialdemokratische Partei Oesterreichs in¬
folge der sich allgemein mehr und mehr
durchsetzenden Achtung vor der österreichi¬
schen Geschichte und dem natürlich Gewach¬
senen etwas von ihrem doktrinären Zentra¬
lismus abgedrängt wird. Damit aber wird
das ganze Problem von seiner Bindung an
weltanschaulich gebundene Parteien lang¬
sam losgelöst und kann immer mehr als ein
gesamtösterreichisches Problem unter dem
Gesichtspunkt der staatlichen Notwendig¬
keiten betrachtet und daher sachlicher und
ohne Bitterkeit diskutiert und behandelt
werden.
Sie schreiben Memoiren
Von unserem Lpk-Ital ien-Korrespondenten
Zwischen Capri und Ischia, gegenüber
dem Vesuv liegt die kleine Insel Procida.
In einem alten Kastell befindet sich hier
seit Jahrzehnten eine Strafanstalt. Tausen¬
de von Verbrechern, die zu langen Frei¬
heitsstrafen verurteilt waren, erlebte die
Insel. Die Fremden, die mit dem Touri-
stendampfer nach Ischia fuhren und die
orientalisch anmutenden Siedlungen sahen,
meinten stets, die Gefangenen hätten es
auf diesem Eiland nicht sonderlich schlecht.
Das gleiche sagt man von den heutigen In¬
sassen der Strafanstalt, die sich aus den
führenden Faschisten Italiens rekrutieren.
Seit dem Sommer 1944, als die alliierten
Truppen einen Faschisten nach dem ande¬
ren aufstöberten, besteht dieses Lager.
Zum Zeitpunkt der vom damaligen kom¬
munistischen Justizminister Togliatti Un¬
terzeichneten Faschistenamnestie vom Juni
1946 befanden sich 300 der prominentesten
Schwarzhemdenführer auf Procida. Die
Familie Mussolinis war hier untergebracht,
bis sie die Erlaubnis erhielt, sich auf dem
benachbarten Ischia niederzulassen. Heute
sind es noch 120 faschistische Parteiführer,
Politiker und Militärs, die auf Procida hau¬
sen. Etwa 40 davon sind bereits von alliier¬
ten Militärgerichten abgeurteilt und ver¬
büßen hier ihre Strafe. Andere wieder, wie
zum Beispiel der Kommandeur der zur Li¬
gurien-Armee zusammengefaßten faschi¬
stischen und deutschen Verbände, Gra-
ziani, erwarten noch den Rdchterspruch.
Neben Rodolfo Graziani, der Vizekönig von
Aethiopien war, sind noch ziwei Vizekönige
von Albanien vorhanden, nämlich Jaco-
mini, der zusammen mit Visconti Präs ca
den Ueberfall auf Griechenland unter¬
nahm und Pariani. Weiterhin sind mit
Ausnahme derjenigen, die zusammen mit
Mussolini am 28. April am Corner-See er¬
schossen wurden oder sich heute noch ver¬
borgen halten, wie z. B. der Parteisekretär
Carlo Scorza, alle prominenten Namen des
Regimes vertreten. Da ist der ehemalige
Afrika-Minister Terruzzi, den man wäh¬
rend der Besetzung Norditaliens mehrmals
an seinem charakteristischen Spitzbart zu
erkennen giaubte und viermal umbrach¬
te; Aldo Vidussoni, der jüngste Parteise¬
kretär, die ehemaligen Minister Renato Ric¬
ci, Pölverelli und Acerbo, die Staatssekre¬
täre Suvich (Botschafter in Washington),
Biagi, Sardi und Chiavoiini. Von den Mi¬
litärs der faschistischen Sozialrepublik sind
noch Gambarra, Diamanti und Del Tetto
sowie der Kommandeur der autonomen
Einheit X. Mas, Fürst Borghese, zu finden.
Die bekannten Senatoren, che gleichzeitig
als Herausgeber und Chefredakteure gro-
6 ti«chen Gedankens noch eine etwas trau- | ßer Tageszeitungen fungierten, Ezio Maria
rige, wenn menschlich auch vielleicht ver¬
ständliche Ursache: es ist die Möglichkeit,
dadurch etwa« von der gemeinsam zu tra-
Gray, Ermannt» Amicucci, Vito Mussolini
und Giovanni Ansaldo haben Procida be¬
reits wieder verlassen. Ebenso auch der
ehemalige Direktor der Banca dTtaäia,
Azzolini, der die Goldreserven der Bank
auslieferte. Sie alle waren zum Tode oder
! zu langjährigen Freiheitsstrafen verur¬
teilt. Durch die Amnestie sind sie befreit
worden, so daß sie größtenteils in Rom
auf der Via Veneto Spazierengehen kön¬
nen.
Für die restlichen 120 herrscht strenger
Betrieb auf Procida. Auf beiden Seiten der
з, 5 km langen Insel, die von nur sehr ge¬
ringer Breite ist, stehen Maschinengewehr¬
posten. Tag und Nacht liegt ein Schnell¬
boot bereit, das stündlich um die Insel
fährt. Die Häftlinge gliedern sich in zwei
Gruppen: die „politici” und die „conununi”
- die „gewöhnlichen”. Zu letzteren gehö¬
ren auch solche, die mit dem Regime nichts
zu tun hatten, sondern ihren Nächsten auf
der Landstraße überfallen oder dessen
Tresor ausgeraubt hatten. Alle tragen sie
gestreifte Sträflingskleidung. Früher wur¬
den die Gefangenen auf Procida ebenso
wie in allen anderen italienischen Gefäng¬
nissen mit Spinnarbeiten beschäftigt. Die¬
se Betätigung muß heute noch aus Roh¬
stoffmangel ausfallen. Sie sind dafür für
verschiedene Hilfsdienste eingeteilt, von
denen die Küchenposten auf Procida die
begehrtesten sind.
Um 7 Uhr früh wecken die Posten. Um
7.30 Uhr ist Gefangenenzählung. Um 11
Uhr gibt es eine Suppe, anschließend kur¬
zer Spaziergang in den Gefängnishöfen.
Um 15 Uhr wieder Essen, Madsmehlge¬
richte oder Kartoffeln. Nachmittags wird
wieder gezählt. 19.30 Uhr Schlafengehen
und um 20 Uhr absolute Ruhe. Dreimal
des Nachts geht die Ronde.
Fast alle Häftlinge sind eifrig mit
schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt.
Der General Canevari schreibt ein Buch
„Gespräche mit Graziani” für den Verlag
Magi-Spinetti. Graziani selbst ist mit der
Aufzeichnung seiner Memoiren beschäf¬
tigt, für die er bereits mit einer amerikani¬
schen Agentur einen Vertrag abgeschlos¬
sen haben soll. Der ehemalige Landwirt¬
schaftsminister Acerbo schreibt ein Buch
mit dem Titel „Zwischen zwei Executions-
pelotons", in der er seine Stellung zwi¬
schen dem Gerichtsspruch von Verona (der
и. a. Ciano zum Tode verurteilte) und dem
ihm noch bevorstehenden Verfahren schil¬
dert. Fast alle schreiben Rechtfertigungen,
einige auch Erlebnisberichte und Novellen.
Der Botschafter in Washington, Suvich,
gibt englischen Sprachunterricht. Er soll
regen Zuspruch finden, denn viele der
Häftlinge sind der Ansicht, ihre Sprach-
kenntnisse noch einmal verwerten zu
können.
Blick über die Grenzen
Lausanne. Nachdem Mitglieder des Stu¬
diensyndikates für das Urseren-Kraftwerk im
Vorjahr von Ortsansässigen tätlich ange¬
griffen und Kaufverträgen üben bäuerliche
Grundstücke auf Grund von Verordnungen
gegen die Bodenspekulation die Genehmi¬
gung versagt, ferner auf Grand einer einge¬
legten Revision die Einstellung aller Machi¬
nationen und Provokationen, insbesondere
von Landkäufen untersagt worden war, ent¬
schied nun das Bundesgericht: Die Urner
Behörden seien verpflichtet gewesen, die
Wiederherhölung von Tätlichkeiten zu ver¬
hindern. Durch den Vorentscheid sei die
nach Artikel 31 der Bundesverfassung ga¬
rantierte Gewerbefreiheit verletzt worden.
Gegen das Verbot des Landkaufes auf
Grund der Bodenspekulationsverordnung
habe das Syndikat keinen Einspruch er¬
hoben und sich damit diesem Entscheid ge¬
fügt ....
Zürich. In einigen kn Kanton Zürich ge¬
legenen, 6 eit vierhundert Jahren bekannten
Kohlenvorkommen wurden in den Jahren
1941—1945 rund 70 000 t Kohle ausgebeutet.
Durch neuere Bohrungen bei Sihlbrugg
wurde etwa 50 m unter dem Niveau der Sihl
das Käpfnacher Flöz festgestellt, das dem¬
nach mindestens 4 km lang sein müßte. Es
hat zwar nur eine mittlere Schichtdicke von
20—30 cm, bildet aber eine nationale Not¬
reserve von nicht ganz einer halben Million
Tonnen
Bern. Während der Pftngstfeiertage ver¬
kehrten auf den Schweizer Bundesbahnen
rund 300 Sonderzüge.
Bern. Der Mangel an Arbeitskräften für
die Heuernte ist in diesem Jahr besonders
groß, weil zahlreiche Italiener wegen Ein-
lüeeschwierigkeiten noch nicht an ihren Ar¬
beitsplätzen angelangt sind.
Romanshorn. „Geh in d’ Schweiz, und
mach dei Glück", hieß es früher, und so
heißt es wohl auch heute noch — trotz des
Schweizerischen Frauenüberschusses. Nur
sind es heute keine deutschen Maries und
Fanny« mehr, che in die Schweiz kommen,
um als brave Stützen der Hausfrau selber
Hausfrau zu werden und Sich einen Ehepart¬
ner zu angeln, sondern heute kommen sie
aus dem Süden und heißen Maria oder An¬
gelina. Wie Inserate beweisen, scheint sich
aber auch aus dem Elsaß ähnliches vorzu¬
bereiten, schreibt die Bodensee-Zeitung.
Brugg. Der Schweizerische Bauernverband,
der in über 60 Sektionen rund 600 000 Mit¬
glieder zählt, feierte seinen 50. Geburtstag.
In der in allen drei Landessprachen gehalte¬
nen Festrede wies Direktor Prof. Dr. Ho-
wakl auf die Bedeutung des bäuerlich-ge-
nossenschafllichen Werkes durch Selbsthilfe
auf allen Gebieten hin, in der Viehzucht,
dem Acker- und Weinbau und in der Milch¬
wirtschaft. Die Erhaltung und Stärkung des
Bauernstandes im Schweizerischen Industrie¬
staat sei das Ziel der Verbandstätigkeit.
Bundeerat Stampfli betonte, die Institutio¬
nen der menschlichen Gesellschaft seien ge¬
rade so viel wert wie die hinter ihnen ste¬
henden Persönlichkeiten und gedachte da¬
bei, wie auch Marquis de Vogue-Frankreich,
der Verdienste von Professor Laur, dem
Gründer des Verbandes, dessen Name durch
seine Mitarbeit an der Schaffung der Inter¬
nationalen Agrarunion, des Internationalen
Landwirtschaftsinstitutes und beim Interna¬
tionalen Arbeitsamt bis weit über die Lan¬
desgrenzen hinaus bekannt geworden sei.
Linz. Die österreichischen Stickstoffwerke
haben bisher 50 000 t Kalkammonsalpeter
als Düngemittel erzeugt. Bei einer Steige¬
rung der Kohlenzufuhr kann die Produktion
gesteigert werden.
Wien. Angesichts des Fehlens von 70 000
landwirtschaftlichen Arbeitskräften bei der
Ernte hat die österreichische Hodrsdiüler-
6 chaft zur Erntehilfe aufgerufen,
Bregenz. Etwa 10 000 Vorarlberger befin¬
den sich noch in Kriegsgefangenschaft.
Frankreich habe schon kurz nach Kriegs¬
ende den Gefangenen die Tore zur Heimat
geöffnet und dadurch höchstes Lob verdient,
schreibt das „Vorarlberger Volksblatt".
Bregenz. Nach einer Mitteilung des Lan-
desernährungsamtes Vorarlberg beträgt bei
Zugrundelegung einer Tagesration von 1550
Kalorien der Zuschußbedarf an Brotgetreide
über 21 000 t bei einer Eigenproduktion von
noch nicht 1000 t. Beim Fleisch beträgt der
Jahresbedarf etwa 2800 t, doch kann er
durch Kompensation von Schlachtvieh ge¬
gen Nutzvieh zu 94 Prozent gedeckt werden.
Etwa die Hälfte des Butterbedarfes ist durch
Eigenerzeugung gesichert.
Innsbruck. Ab 1. Juni wird die bisher von
französischen Organen ausgeübte Kontrolle
des „Kleinen Grenzverkehrs" mit der
Schweiz und Italien den österreichischen
Stellen übertragen: für den „Großen Grenz¬
verkehr" bleibt sie bestehen.
Wien. Eine von der schwedischen Europa¬
hilfe der Stadt Wien geschenkte Vibro-
maschine erzeugt aus Ziegelschrott, Schutt
und Zement in zweischichtigem Betrieb täg¬
lich 3600 Steine von 30:20:16,5 cm, mit de¬
nen täglich anderthalb Siedlungshäuser im
Rohbau hergestellt werden können.
Wien. Wegen Nazibetätigung wurde eine
Frau zu neun Monaten Kerker verurteilt,
weil sie für Straßenarbeiten eingesetzten
Nazis Zigaretten zugesteckt und dabei halb¬
laut ihre Sympathien für „Adolf" kundge¬
geben hatte.
Graz. Auf der Tagung des österreichischen
Zeitungsverlegerverbandes wurde in einer
einstimmig angenommenen Resolution die
Heraufsetzung des wöchentlichen Zeitungs¬
umfanges von bisher 26 auf mindestens 38
Seiten verlangt. In ihrem gegenwärtigen
Umfang seien die Zeitungen nicht in der
Lage, die Oeffentlichkeit im notwendigen
Ausmaß zu unterrichten.
Rapallo. Der frühere Bundeskanzler Dr.
Schuschnigg ist durch Untersuchungsrichter
Dr. Huber kommissarisch vernommen wor¬
den als Zeuge im Prozeß gegen den frühe¬
ren Außenminister Dr. Guido Schmidt. Dr.
Schuschnigg wird einer Berufung an die ka¬
tholische Fortham-Universität in New York
Folge leisten.
Wien. In dem neuen Beethoven-Film wird
Ewald Baiser die Titelrolle übernehmen. Za-
rah Leander wird in zwei Filmen spielen,
die im Spätsommer in den Rosenhügel-Ate-
liers gedreht werden.
Mit und ohne Kommentar
Kansas City. Nach der Unterzeichnung des
Hilifsgesetaes für Gniechewl'anid und die Türkei
am 21. Mai 1947 erklärte Präsident Truman. die
Verabschiedung dies Gesetzes durch überwälti¬
gend© Mehrheiten in beiden Häusern des Kon¬
gresses beweise, daß die USA den Frie¬
den eTnstüdi wünsden und bereit seien,
große Bemühungen zu seiner Herbeiführung zu
unternehmen. Dies schließe auch die Fähigkeit
dieser Nationen ein, ih : re Ordnung und Unab¬
hängigkeit aufrecht zu erhalten urud sich wirt¬
schaftlich selber zu erhalten.
San Framzisco. WäHace erklärte am
21. Mai in einer Rede im Opernhaus, die ameri¬
kanische Hilfe dürfe nur den einzigen Zweck
haben, den, allgemeinen Lebensstandard zu he¬
ben und die Wohlfahrt in der ganzen Welt zu
fördern. Die Verwirklichung dieser Ziele läge
in der Macht der USA. „Eine verwüstete und
hungrige Welt ruft nicht nach amerikanischen
Geschützen und Tanks, sondern nach Pflügen
und Maschinen, u-m den versprochenen Frieden
Wirklichkeit werden zu lassen.“
Ottawa. Die Vermutung, daß Präsident Tru¬
men in seiner Botschaft an den Kongreß über die
militärische Zusammenarbeit ganz Amerikas an
eine Reorganisation der kanadischem Armeen
nach amerikanischem Muster gedacht haben könn¬
te, wird, so meldet „Exchamge“, für umwahirschein.
lieh, sogar für lächerlich gehalten. USA, Eng¬
land und Kanada hätten ihre eigene Vorliebe
für gewisse Waffen. Kanada sei stolz auf seine
25-Pfünder-Geschütze und diie englischen Düsen¬
flugzeuge seien dem Amerikanern weif überlegen,
W ashington. Kriegsministex Patterson,
Marineminister Forrestal und Außenminister
Marshall sind der Meinung, daß die übrigen
Mächte des amerikanischen Kontinents, wenn
man ihnen nicht die USA-Waffenübersdiüsse zur
Verfügung steile, ihre Waffen anderswo kaufen
könnten. Vor dem Kriege hätten, die südamexi-
kand-sdien Länder einen großen Teil ihres Rü¬
stung smaitarials aus Deutschland bezogen, dieses
Land habe dann Miliitärnnissioruen nach Südameri¬
ka entsandt und dort einige Armeen ausgeöildet.
Großbritannien sei heute von dem während des
Krieges geltenden Abkommen, keine Waffen an
südamerikanäsche Länder abzugeben, entbunden.
Einig© englische Düsenflugzeuge -seien bereits an
Argentinien geliefert worden. Hierbei habe al¬
lerdings hauptsächlich der Wunsch nach Devisen¬
beschaffung miiitgespielt.
Washington. Die Botschaft von Präsident
Tiruiman über di© militärisch© Zusammenarbeit
der Nationen der westlichen Hemisphäre sieht
ein© Eingliederung dieses Planes im die Wirt¬
schaftspolitik der USA vot, '„soweit sie darauf
gerichtet ist, gesunde Wiriischaftsveihälfndsse in
d'em lateinamerikanischen Ländern, zu fördern.
Denn eiine Verbesserung des Lebensstandards
und die Förderung der sozialen und kulturellen
Wohlfahrt ist eine Vorbedingung für'Frieden und
Sicherheit auf intereaitionalem Gebiet“.
Moskau. Die „Iswestija" behauptet, die
Südamerika gewährten Kredite würden solchen In¬
dustrien verweigert, die noTdamierikanischen In-
diustrien Konkurrenz machen könnten, und sie
würden an solch© vergeben, die die Südamerika*
nischen Republiken von USA abhängig machen,
wenn sie Fertigwaren erhalten wollten.
Moskau. In dem Dekret über diie Abschaf¬
fung detr Todesstrafe heißt es, nach der Kapiftuäa“
tiexn Deutschlands könne „di© Sach© des Frie¬
dens auf lang© Zeit als sicher betrach¬
tet wenden, trotz der Versuch© aggressiver Ele¬
mente, einen neuen Krieg au provozieren,.“
New York. Auf der Jahresversammlung der
„Vereamguing für che chemische Kriegführung“
erklärte Kenneth Royadil, daß es leider unerlä߬
lich sei, das intensive Studium und die Herstel¬
lung von Atomwaffen fortzusetzen. In der Ent¬
wicklung von ferngesteuerten Bombenflugzeuge n
sowie von Geschützen und Kriegsschiffen ebenso
wie im „Gas- und Bakterienkrieg“ müßte USA
dtie Führung behalten, — meidet „Exchange“.
Boston. Der Chefredakteur der Zeitschrift
„Aviation“, John Fraser, teilte auf einer Luift-
fahrtkonteireniz mit, die Sowjetunion habe mit
Hülfe deutscher Wissenschaftler das schnellste
Düsenflugzeug der Welt erbaut, einen einsitzigen
Jäger mit einer Stunrieugeschwindigkeit von
1056 km, durch das der englische Weltrekord um
65 km überboten sei.
Washington. Votr dem außenpolitischen.
Ausschuß des Senats setzte sich General MairsbaC!
persönlich für die Beschleunigung des Baues ei¬
nes Seeschiffskanaits längs des St. Lorenz-Stro¬
mes bis zu den Großen Seen ein, der einen für
Ooeanschjjffe befahrbaren, gegen U-Bootamgri'ffe
geschützten Zufahmtsweg mitten in das Herz
Nordamerikas eröffne. Im Falle eines Atomfcrie-
ges würde ein solcher Kanal d&e Sicherheit der
USA erheblich erhöhen.
London. Ueber die seit 7 Wochen tagend©
Genfer WefltfaandeJskonferenz schreibt die „Ti¬
mes“: Kein MifgQied des britiischeti Common
Weal'th zeige Bereitschaft, sein Privileg des
Reichsvorzugszolils oder seinen eigenen Zolltarif-
schütz hinreichend zu opfern. Kein einziges bila¬
terales Abkommen ae i in Sacht.
Montreal. In einer Rede vot der ,,Royal
Empire Society“ erklärte der englische Vertreter
im Sitheibeübsrat, Sir Alexander Cadogan. wenn
die Welf nicht das Gefühl der Sicherheit bekom¬
me, wende di« Wdlftabiüstung nur sehr schwach
sein. Aus Furcht vor ihren Nachbarn blieben
di« Nationen gerüstet. Daher müsse main zunächst
den Krankh ei ts h erd kurieren: den Argwohn.
Margate. Auf dem Parteitag der Labouf
Party forderte Harold Davies die eindeutige Klar¬
stellung der Frage, ob man lieber an der ZaM
der Wehrkräfte oder aber an den notwendigen
Gütern für dös zivHe Leben Abstriche vorneh¬
men wolle. Letzten Endes laufe das Problem auf
eine Wahl zwischen „Kanonen oder Butter“ hin¬
aus. Mehrere Dellegierte vertraten die Meinung,
daß düe unproduktiven Industrien wie z. B. di©
Wettbüros für FußbaiHiwettkämpfe, düse mehrere
100 000 Leute beschäftigen, unentbehrliche Ar¬
beitskräfte aus wichtigen Industriezweigen ab-
ziehen.
Rio de Janeiro. Mit einem Kostenauf¬
wand von mehreren hunderttausend DoMars wur¬
de auf einem einsamen Hochplateau, 640 km
nördlich von Rio die vier Minuten dauernde to¬
tale Sonnenfinsternis von einer von der „Na¬
tional! Geographica!! Society“ gemeinsam mit der
US-Luftwaffe organisierten Expedition beobach¬
tet. Es wurde ein besonderes Flugfeld für dte be¬
teiligte» Superfestungen errichtet. Es sodäte u. a.
di« nach <ter Retetivrtätstbeorie zu erwartende
Ablenkung de© SteroenÜchts im Gra vitarionsfeld
der Sonne beobachtet und vom Flugzeug aus der
mat rund einem km in der Sekunde über die Erde
rasend« Mondschatten aius 9000 m Höhe gefilmt
werden.
St Gallen, Das ,3t. Gaffler Tagbdatft“ be¬
richtet, in der amerikanischen Zone Deutschlands
habe ein Beerdigungsuntemebmen einen Patent*
sarg erfunden, bei welchem der Boden mit dem
übrigen Teil nicht fest verbunden sei. Auf dies©
Weise wunde Hole gespart.
SÜDKURIER
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Dörflinger (CDU) Rudi GogueJ (KP), Herbert
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