Die beiden Wappenscheiben im Rathaus 2u6 Meersburg
Von Walther Bremen, Krefeſd
„Schweizer Scheibe“ heißt jene Form des Kleinglasgemäldes, welche mittels eines stets gleichen Schemas Wappen unter einer Ehren- pforte verherrlicht. Der Triumphbogen wird ursprünglich durch leuchtend bunte Damast- vorhänge geschlossen, vor denen sich die vor- zustellenden Wappen prachtvoll abheben. Später werden die Hintergründe aufgelich- tet und gar zu Landschaftsausblicken geöff- net. Den Wappen sind vielfach Wappen- halterfiguren und schließlich auch die Bildnis- gestalten der Wappeneigner beigesellt. Die Entwicklung der Schmelzfarbenmalerei er- möglichte es, an den Rändern der Scheiben, besonders oben im sogenannten Oberlicht, Kleinbildchen einzufügen, die zwar genau genommen unglasmalerisch sind, den Schei- ben aber mit köstlichen Darstellungen aus der Bibel, den Legenden und vor allem aus dem Volksleben einen besonderen Reiz ver- leihen. Auch mythologische oder allegorische Darstellungen sind beliebt.
Die sog.„Schweizer Scheibe“ ist eine selb- ständige und eigentümliche Kunstschöpfung des alemannischen Stammes. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kam sie im bürgerlichen Bereich auf und blieb etwa bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Mode. Die Ost- Schweiz, das Bodenseeland und das Ober- rheingebiet sind ihre eigentliche Heimat. Von den Kunstzentren dieser Gegenden aus hat die Schweizer Scheibe sich dank der Sitte der Fensterschenkungen— Neubauten er- hielten Bauspenden in Form von bunten Wappenfenstern weithin im Lande ver- breitet. Ihre ursprünglichen Standorte waren die Ratsstuben der Rathäuser, die Wohn- stuben der Burgen und Bürgerhäuser, die Säle und Kreuzgänge der Klöster, lauter Räume, in deren Dämmerlicht sich der Farbenzauber leuchtender Scheiben prächtig entzünden konnte. Mit der Zeit wurden die
Fensteröffnungen geräumiger, die Fenster- scheiben größer und klarer. Da verließen die schönen Buntscheiben ihre Standorte und wanderten ab in die Sammlungen und
Museen der Welt.
Von der unvorstellbaren Pracht der alten Zeit ist im Lande selbst, Zzumal am ursprüng- lichen Platz, sehr wenig übriggeblieben. In Deutschland haben nur die Ratsstuben von Pfullendorf und von Endingen am Caiser- stuhl ihren alten Fensterschmuck bewahrt. Der herrliche Rittersaal des Schlosses Heiligenberg vereinigt an unvergleichlich günstigem Standort rund 40 bedeutende Scheiben der Fürstenbergischen Burgen und Schlösser, die immer noch ihrer Veröffent- lichung im Buntbild harren. In der Schweiz haben 2. B. die Ratsstuben von Stein am Khein, Unterstammheim(Kanton Zürich), von Basel und Bern sowie der Kreuzgang des Klosters Wettingen und das Schützenhaus zu Basel ihre alten Scheiben am ursprünglichen Ort bewahrt. Die Schei- ben aus dem Kreuzgang des Klosters Muri sind in das Museum nach Aarau verbracht
VOI
Worden.
Auch der berühmte Rathaussaal in Uber- lingen war ehedem mit Buntscheiben aus- gestattet. Deren Mittelstück war die grobe Wappenscheibe der Stadt Uberlingen mit Darstellungen aus dem Bauernkrieg. Der Rat der Stadt Uberlingen hat diese Scheibe 1528 bei Ludwig Stillhart, dem bedeutendsten Glasmaler der Frührenaissance in Konstanz, bestellt, als Kaiser Karl V. die kaisertreue Haltung der Stadt im Bauernkrieg mit einer Wappenbesserung belohnt hatte. Die Scheibe hat sich in Privatbesitz erhalten. Ihr beschä- digtes Oberlicht ist unlängst mit Hilfe des Restaurators Viktor Mezger, Uberlingen, Wiederhergestellt worden.
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